Von Susanne Bergius
Der EU-Umweltschutzbericht von März 2015 war klipp und klar: 60 Prozent der geschützten Arten und 77 Prozent der Lebensräume in Europa geht es schlecht. Fruchtbare Böden schwinden zusehends. Das EU-Ziel, den Artenverlust bis 2020 zu stoppen, wird wohl verfehlt, ebenso das Ziel, bis 2050 die Treibhausgasemissionen um 80-95 % zu senken – wenn denn nicht mehr passiert als jetzt. Grund: „Unsere Produktion und unser Konsum sind nicht nachhaltig“, sagte Hans Bruyninckxs, Chef der EU-Umweltbehörde. Das ganze Wirtschaftssystem müsse umweltfreundlicher werden.
Hebel hierfür hält die Politik in Händen, aber auch die Wirtschaft selbst. Unternehmen verursachen durch Umweltausbeutung externe Kosten für die Gesellschaft. Sie stiegen in elf Schlüsselindustrien von 2002 bis 2010 um die Hälfte auf 846 Milliarden US-Dollar, berechnete die Londoner Trucost. Müssten die Unternehmen die Umweltkosten ihrer Produktion zahlen, verlören sie im Schnitt 41 Prozent des Gewinns.
Doch diese externen Kosten tauchen in Geschäftsberichten nicht auf. Eben so wenig soziale Kosten etwa für Gesundheitsschäden, die der Gesellschaft aufgebürdet werden. Warum? Weil die Unternehmen dafür nicht gerade stehen müssen.
Zwar geraten Unternehmen immer wieder in die Kritik. Doch was nutzt es, sie allein zu kritisieren – nicht aber ihre Geldgeber? Banken, Vermögensverwaltungen, Stiftungen, Kirchen, Pensionsfonds, private Anleger – sie alle wollen möglichst hohe Renditen. Gerade börsennotierte Unternehmen können vielfach nicht anders als sich diesem Druck zu beugen.
Folglich ist klar: Neben der Politik, den Regulatoren, den Verbrauchern und gesellschaftlichen Anspruchgruppen hat der Kapitalmarkt eine große Bedeutung dafür, ob Unternehmen nachhaltiger wirtschaften als bisher – oder nicht. Die Finanziers der Wirtschaft entscheiden mit, ob unsere Wirtschafts- und Lebensstile zukunftsfähiger werden.
Dieser Herausforderung widmen sich nachhaltige Investments.
Was sind nachhaltige Investments?
Die Bandbreite der Anlagekonzepte ist sehr groß und verdeutlicht, dass wir – wenn wir von demselben reden – nicht unbedingt dasselbe meinen. In Europa besteht kein Konsens über eine einheitliche Definition zu Kriterien, Tiefe und Qualität derartiger Anlagen. Und den kann es auch nicht geben – Dafür sind die kulturellen, geschichtlichen, rechtlichen, religiösen und geographisch-natürlichen Gegebenheiten in den verschiedenen Regionen der Welt viel zu unterschiedlich (siehe unten).
Wichtig ist darum zunächst die grundlegende Unterscheidung von „nachhaltigen“ und „verantwortlichen“ Investments.
Im Idealfall fließen nachhaltige Geldanlagen in Unternehmen, die in jeder Hinsicht sozial, ökologisch und ökonomisch verantwortlich wirtschaften. Sie sorgen für gute und sichere Arbeitsbedingungen und faire Entlohnungen, auch für die der Zulieferer überall auf der Welt. Sie setzen natürliche Ressourcen sehr effizient ein und meiden umwelt- oder gesundheitsschädliche Inhaltsstoffe. Mehr noch: Ihre Produkte und Dienste tragen zu zukunftsfähigen Wirtschafts- und Lebensweise bei. Diesem Ideal werden aber nur sehr wenige Unternehmen gerecht. Entsprechendes gilt für Staaten und andere Emittenten.
Nachhaltige Geldanlagen sondieren und investieren darum in Akteure, die bereits glaubwürdig auf dem Weg zu mehr Nachhaltigkeit sind und meiden die anderen (z.B. über Ausschlusskriterien und so genannte Best-in-Class-Konzepte). Sie analysieren Unternehmen und Staaten mithilfe zahlloser Indikatoren und investieren in die öko-sozial leistungsfähigsten. Noch strengere Konzepte stützen durchweg nachhaltige Geschäftsmodelle.
Verantwortliche Investoren hingegen wollen die schlimmsten Vergehen gegen internationale Umwelt- und Sozialstandards meiden sowie ihre diesbezüglichen Anlagerisiken senken. Sie wollen Unternehmen dazu bringen, sich zumindest in manchen Bereichen auf den Weg zu machen. Sie beachten einige zentrale Umwelt-, Sozial- und Governance-Aspekte – sogenannte ESG-Kriterien (siehe unten). Manche sprechen direkt mit Emittenten, um sie zu einem verantwortlicheren Geschäftsgebaren zu bewegen.
Entscheidender Ansatz bei beiden strategischen Ansätzen ist, dass Kapitaleigner und Vermögensverwalter beeinflussen können, wie sie ihr Eigentum bzw. die ihnen anvertrauten Gelder einsetzen. Als Finanziers der Wirtschaft haben sie kräftige Hebel in der Hand, um die Art des Wirtschaftens zu beeinflussen.
Nachhaltige Geldanlagen sind nicht zu verwechseln mit Umwelttechnik-Anlagen. Hierfür wird meist keine Kriterienvielfalt gehandhabt – und nicht jede Ökotechnik ist durchweg nachhaltig! Biosprit zum Beispiel klingt zwar gut, kann aber in Konkurrenz zur Nahrungsmittelherstellung stehen. Zudem finanzieren sich Technikfirmen – auch die Solar- und Windbranche – über oft hochriskante Anlageklassen wie etwa Aktien, Private Equity, geschlossene Fonds oder Genussrechte. Aktien von Technikwerten sind volatil – ob öko oder nicht. Auch Bankrotte passieren – wie in der konventionellen, so auch in der Öko-Wirtschaft. Viele Anleger verloren viel Geld. Einer der Gründe dafür ist, dass zahlreiche Firmen und Finanzberater den Fehler begingen, derartige Finanzprodukte als „nachhaltige“ Geldanlagen zu verkaufen statt als das, was sie sind: „Umwelttechnikinvestments“. Es gibt aber auch Ökotechnik-Investments, bei denen Umwelt-, Sozial- und Governance-Kriterien einfließen und die insofern als nachhaltige Geldanlagen zu bezeichnen sind.
Welche Kriterien beachten nachhaltige Geldanlagen?
Normalerweise werden Anlagen auf Basis von drei finanziellen Kernkriterien ausgewählt: der Rendite, der Volatilität (Schwankungsbreite) und der Liquidität (Verfügbarkeit). Nachhaltige Geldanlagen (sustainable investments) ergänzen diese drei ökonomischen Kriterien durch einen vierten Block: die nachhaltige Sicht. Sie drückt aus, ob und wie Unternehmen und Staaten umwelt- und sozialverträglich handeln. Dies lässt sich durch eine Vielzahl von Indikatoren für Ökologie, Soziales, Ethik und Unternehmensführung messen. International hat sich für hierfür das Kürzel ESG etabliert: Es steht für Environment, Social and Governance.
Nachhaltige Geldanlagen basieren oft auf 200 bis 300 Kriterien, mit denen die unternehmerischen Leistungen im Bereich Umweltschutz, soziale Standards, Ethik und Unternehmensführung bewertet werden. Hierfür gibt es spezialisierte Rating- und Researchagenturen sowie eigenes ESG-Research bei manchen Banken und Vermögensverwaltern. Auch spezielle nachhaltige Börsenindizes basieren auf entsprechenden Kriterienkatalogen und Bewertungskonzepten. Für den Markt nachhaltiger Geldanlagen gibt es inzwischen umfangreiche Informationsquellen.
Die Wahl der Kriterien hängt von den Zielen und Interessen der Anleger und Vermögensverwalter ab: dem einen ist Umweltschutz wichtiger, dem anderen Menschenrechte. Entsprechend können sich die Gewichtungen bei Anlageprodukten unterscheiden. Es gibt strenge Konzepte, die auch Ausschlusskriterien und Positivkriterien umfassen. Weniger strenge Konzepte berücksichtigen einige zentrale Indikatoren, manche betreiben statt dessen aktives Aktionärstum (siehe unten) – sie bleiben investiert, um auf Emittenten Einfluss zu nehmen.