Wirken nachhaltige Anlagen überhaupt auf Unternehmen?
Das ist eine zunehmend gestellte Frage, mit der sich immer mehr Akteure befassen. Tatsächlich haben Tausende Unternehmen weltweit Corporate Social Responsibility (CSR) auf ihre Fahnen geschrieben – zumindest verbal -, also die Verantwortung für die öko-sozialen Folgen ihrer Geschäftsaktivitäten. Trotzdem klaffen “Worte” und “Tate” auseinander – das zeigte der verheerende Einsturz der Textilfabrik Rana Plaza in Bangladesch 2013, bei dem 1135 Menschen starben. Nicht alle Verstöße gegen internationale Sozial- und Umweltstandards haben so immense Folgen, dass sie in die Schlagzeilen gelangen – doch sie passieren täglich.
Die Verfechter nachhaltiger Anlagekonzepte argumentieren: zur finanziellen Rendite gesellt sich eine „Nachhaltigkeitsrendite“ oder eine „doppelte Dividende“: soziale Verbesserungen und ein ökologischer Mehrwert.
Doch: Lassen sich diese erfassen oder besser noch messen? Die direkte Wirkung bei Aktien und Anleihen ist gering, da beim Kauf von Wertpapieren diese bloß den Besitzer wechseln.
Allerdings sind nachhaltige Aktionäre meist dauerhafte Aktionäre und lassen Wertpapiere nicht beim erstbesten schwachen Quartalsergebnis fallen. Ein großer Anteil solchen Aktionäre könnte den Aktienkurs in schwierigen Zeiten stabilisieren. Darum bemühen sich Unternehmen um sie, insbesondere auch bei Neugründungen oder Kapitalerhöhungen – und ebenso, wenn sie Anleihen emittieren.
Folglich ist eine indirekte Wirkung möglich. Die wissenschaftliche Forschung hierzu steckt noch in den Kinderschuhen. Professor Henry Schäfer von der Universität Stuttgart sagt: „Indirekte Wirkungen sind sicher da, aber sie methodisch sauber zu messen, ist wegen der Komplexität und der vielschichtigen Wechselwirkungen sowie der unzureichenden Datenlage extrem schwierig.“
Gleichwohl lässt sich sagen: Die indirekte Wirkung nachhaltiger Investments ist viel größer als der in Deutschland noch geringe Kapitalanteil von unter vier Prozent vermuten lässt. Die Erfahrungen von Ratingagenturen, Indexprovider und Unternehmen sind eindeutig: Nachhaltige Aktienindizes und Best-in-Class-Fonds haben sich zu Gütesiegeln für Unternehmen gemausert – zu einem Hebel, der einen internationalen Wettbewerb ausgelöst hat um Nachhaltigkeitsleistungen – innerhalb von Branchen und branchenübergreifend.
Im Frühjahr 2013 belegte eine der ersten Studien empirisch die bisher eher sporadisch untermauerte Wirkung auf die Realwirtschaft. Anfragen von Nachhaltigkeitsanalysten und nachhaltigen Investoren sind bei rund 60 Prozent der Konzerne aus aller Welt ausschlaggebende Faktoren, sich überhaupt mit Nachhaltigkeit zu befassen. Dies ergab eine Umfrage der Ratingagentur Oekom Research in Kooperation mit den UN Prinzipien für verantwortliches Investieren (PRI) und dem Deutschen Global Compact Netzwerk unter rund 750 Großunternehmen. Es antworteten 200 Konzerne. Anfragen der spezialisierten Analysten beeinflussen bei 60 Prozent der Unternehmen die Nachhaltigkeitsstrategie und konkrete Maßnahmen des Nachhaltigkeitsmanagements.
Entsprechende Wirkungen hatten 2011 das Sustainable Business Institute (SBI) und das Deutsche Aktieninstitut (DAI) empirisch belegt. Für 37 Prozent der Unternehmen ist die Notierung in einem Nachhaltigkeitsindex oder –fonds ein Unternehmensziel. Allerdings sei unmöglich, die Wirkungen unterschiedlicher Anreizsysteme quantitativ zu differenzieren, sagt SBI-Chef Paschen von Flotow und erläutert: „Investoren mahnen Leistungen an und verstärken damit andere reale Anreize, die von Kunden, Wettbewerbern oder der Politik kommen.“
Viel diskutiert ist die Frage, welche nachhaltigen Anlagestrategien die größte Wirkung auf die Realwirtschaft erzielen. Auch hierzu liefert die Oekom-Umfrage Erhellendes. Den größten Einfluss auf Unternehmen habe, so 40 Prozent der Antwortenden, der „Best-in-Class“-Ansatz. Er sondiert die ökosozial und wirtschaftlich leistungsfähigsten Unternehmen aller Branchen.
Das Ergebnis ist erstaunlich, denn europaweit macht das Konzept mit 353 Milliarden Euro nur einen Bruchteil der irgendwie nachhaltig oder ethisch orientierten Anlagen aus (2014 Eurosif). Global sieht es kaum anders aus. Best-in-Class-Anlagestrategien haben also einen viel größeren Effekt als ihre puren Volumina vermuten ließen. Und sie haben einen viel größeren Effekt als Ausschlusskriterien oder andere Strategien. Die relative Wirkungslosigkeit von Ausschlusskriterien belegte 2014 auch eine Studie der Universität Stuttgart.
Wie funktioniert die Wirkungskette?
Die Wirkungskette über Best-in-Class-Konzepte ist recht klar, wie Unternehmen verschiedener Branchen und Größen der Autorin erläuterten und Ratingagenturen bestätigen. Sie verläuft so:
- Immer mehr Unternehmen wollen in nachhaltigen Indizes oder Fonds notiert sein, das gilt als Auszeichnung.
- Um gut abzuschneiden müssen sich Unternehmen mit Researchagenturen austauschen und transparent sein, andernfalls hagelt es schlechte Noten.
- Durch die Bewertungen erfahren sie, wo sie im Branchenvergleich stehen. Sie lernen Schwächen kennen und erhalten von den Analysten Hinweise auf Verbesserungen.
- Infolgedessen beginnen Unternehmen schrittweise, nachhaltige Aspekte in Projekte und Produkte aufzunehmen.
- Viele schreiben erst mal einen Nachhaltigkeitsbericht, um gesellschaftlichen Ansprüchen gerecht zu werden – und erkennen plötzlich, dass sie kaum was zu berichten haben, weil sie weder die nötigen Daten erheben noch Leitlinien, Zielvorgaben, Strukturen und die intern nötigen Kooperationen haben. Der durch Nachhaltigkeitsberichte und CSR-Ratings ausgelöst interne Denk-, Lern- und Veränderungsprozess ist darum wesentlich größer als der externe Kommunikationseffekt.
- Schließlich richten Unternehmen nach und nach ihr Management und die Produktentwicklung auf zukunftsfähiges Wirtschaften neu aus. Viele ändern ihre Firmenstrategie. Sie kooperieren mit Zulieferern und teils gar mit Wettbewerbern, um dies zu erreichen.
- Das reicht bei einigen wenigen Unternehmen bis zu Leistungsanreizen – so macht Metro seit 2014 die variable Vergütung von Vorständen und Management zu einem Viertel von der Bewertung für den Nachhaltigkeitsindex DJSI abhängig.
Belege für diese indirekte Wirkung nachhaltiger Geldanlagen finden sich auch in innovativen Controlling-Ansätzen, wie der ökologischen Gewinn- und Verlustrechnung von Puma, Handelskonzern Otto (2014) oder dem dänischen Pharmariese Novo Nordisk (2014). Letzterer verursachte 2011 addiert 223 Millionen Euro an Umweltbelastungen, davon 87 Prozent durch die Beschaffungskette.
Wo liegen Grenzen und Hürden für die Wirksamkeit?
Gleichwohl bestehen ein paar grundsätzliche Grenzen oder Hürden hinsichtlich der Wirkung nachhaltiger Geldanlagen. Von all diesen Hürden sollte man sich aber nicht abschrecken lassen. Sie sollten keine Ausrede sein, um tatenlos die Hände in den Schoß zu legen. Denn dass Wirkung erzielt werden kann, gilt als sicher. Es ist erforderlich, sich dessen bewusst zu sein, um keine falschen Hoffnungen zu hegen und Ansätze zu finden, die Beschränkungen zu überwinden – oder zu erkennen, dass sich aus mancher Beschränkung auch Chancen ergeben. Hierzu ein paar Schlaglichter:
1. Hürde ist die fehlende Definition von Nachhaltigkeit
Der Begriff ist nicht eindeutig definiert und – um es klar zusagen – das geht auch nicht! Dafür sind die kulturellen, geschichtlichen, rechtlichen, religiösen und geographisch-natürlichen Gegebenheiten in den verschiedenen Regionen der Welt viel zu unterschiedlich. Um nur ein Beispiel zu nennen: Für die Deutschen ist Atomstrom tabu, für das Kohleland China aktiver Klimaschutz. Die Liste solcher Beispiele ist unendlich lang.
Darum wird es für die Frage, was Nachhaltigkeit ist und wie sie messbar ist, immer mehrere Antworten geben. Infolgedessen steigen die Zahl neuer Anlageprodukte und die Vielfalt der Konzepte – und damit die Chance, auf unterschiedliche Weise Unternehmen zu beeinflussen.
Besonders deutlich wird das angesichts des Trends, dass Pensionsfonds, Versicherungen, Stiftungen oder Kirchen oft ihre Portfolien nicht ändern wollen oder teils aus rechtlichen Gründen nicht dürfen – und trotzdem wollen sie verantwortlich investieren – also nicht an den schlimmsten Menschenrechts- oder Umweltverstößen beteiligt sein. Sie versuchen, Unternehmen im Dialog zur Nachhaltigkeit zu bewegen. Folglich ist es legitim, dass es eine große Bandbreite sehr unterschiedlicher und doch nachhaltig orientierter Anlagekonzepte gibt. Das ist keine Schwäche, sondern eine Stärke.
2. Hürde sind der mangelnder Erfahrungsschatz bei der Wirkungsmessung
Es gibt Hunderte von Kriterien – Nachhaltigkeit lässt sich messen. Doch um die Frage nach der Wirkung nachhaltiger Geldanlagen zu beantworten, ist zu klären, woran man das misst. Die Wirkungsanalyse ist heikel, wie zwei Beispiele zeigen:
a) Soziales: Ein Kriterium für die Verbesserung der Arbeitsbedingungen ist, ob Unternehmen den Beschäftigten Mitspracherechte geben und ihnen erlauben, sich zu organisieren. Doch es gibt Länder, die Gewerkschaften verbieten – wie China – oder ihnen das Leben schwer machen – wie die USA. Selbst wenn Unternehmen in China Betriebsräte zulassen wollten – es ist ihnen verboten.
Mache versuchen wie die BASF andere Wege für mehr Mitsprache und Einfluss auf Arbeitsbedingungen zu finden – doch wie misst man das?
b) Klimaschutz: Indikator sind die CO2-Emissionen. Doch CO2 ist nicht der einzige Maßstab für Klima-Effekte. Ein ineffizient arbeitender Papierhersteller verursacht womöglich erheblich weniger Emissionen als ein Wettbewerber mit effizienter Produktion, der aber Regenwald abholzt, denn das vernichtet CO2-Speicher und setzt gefährliche Methan-Gase frei.
Investmentkriterium müsste also auch sein, ob Unternehmen die Biologische Vielfalt schützen … das ist jedoch heutzutage noch nicht solide messbar … Wohl aber können Investoren berücksichtigen, ob und was Unternehmen zum Schutz der Biodiversität tun und sie auffordern, kritische Aktivitäten zu beenden. Derartiges Engagement hat in Indonesien 2013/2015 schon funktioniert.
Da sich immer mehr Anleger einen Nachweis der Wirkung wünschen, werden zunehmend Projekte zur Wirkungsmessung gestartet. Hierbei ist allerdings mit einem mehrjährigen Forschungsaufwand zu rechnen.
3. und größte Hürde ist das Beharrungsvermögen überkommener Strukturen
Zum einen ist die Gesetzgebung, insbesondere in demokratischen Staaten, zwangsläufig träge ist und hinkt innovativen Entwicklungen und neuen Erkenntnissen hinterher. Auch das Verhalten aus Gewohnheit („Das haben wir immer so gemacht) dominiert die Wirtschaft weithin. Die Lobby der herkömmlichen, konventionell wirtschaftenden oder denkenden Akteure und Entscheider hat enormen Einfluss.
Nachhaltige Akteure werfen folglich erst ein kleines Pfund in die Waagschale der globalisierten Wirtschaft und haben erst einen begrenzten Einfluss auf Entscheidungsträger. Nachhaltigkeitsratings sind für die Hälfte der Topmanager eine Vergleichsmaßstab, der ihnen zeigt, wo sie gegenüber der Konkurrenz stehen, ergab 2014 eine Studie des Südwind-Instituts. Überraschenderweise aber sagten die Vorstände auch: keine Entscheidung sei anlässlich eines Nachhaltigkeitsratings so oder anders gefallen. Eine Studie der UN-Initiative Prinzipien für Verantwortliches Investieren von 2014 kommt zu einem ähnlichen Ergebnis: Lediglich 23% der Vorstände zählen Investoren zu den einflussreichen Stakeholdern in Sachen Nachhaltigkeit.
Die Situation ändert sich allerdings etwas im Zuge des sogenannten „ESG-Mainstreaming“: Zunehmend werden rund um den Globus große Kapitaleigner und Vermögensverwalter für zentrale Umwelt-, Sozial- und Governance-Belange wie Klimaschutz und Korruptionsbekämpfung.