Interview von Thomas Stollenwerk
Die Studie stellt die Frage, ob der Begriff ein No-Go oder eine Notwendigkeit ist. Was macht es überhaupt zum potenziellen No-Go, den Begriff Nachhaltigkeit zu verwenden?
Uns hat in dieser hitzigen Debatte als Forscher zunächst ganz nüchtern interessiert, wie es denn empirisch um die faktische Verwendung dieses Begriffs bestellt ist. Aber die Diskussion, ob man den Begriff benutzen solle oder nicht, war ein ständiger Begleiter unserer Initiative. Axel Bojanowski schrieb den Begriff auf Spiegel Online unter der Überschrift „Kommen Sie mir bloß nicht mit Nachhaltigkeit“ ab, woraufhin der Darmstädter Journalismusprofessor Torsten Schäfer auf der Medienplattform Grüner Journalismus eine Replik veröffentlichte, in der er für die Notwendigkeit einer offensiven Auseinandersetzung mit dem Begriff eintritt und streitet.
Für die Studie haben sie in den Blick genommen, in welchen Kontexten Nachhaltigkeit in deutschen Printmedien auftaucht. Welche Bezugsrahmen lassen sich beim Thema Nachhaltigkeit in den Medien unterscheiden?
Es gibt inzwischen breite Forschungsanstrengungen zu einzelnen Diskursen oder Perspektiven der Nachhaltigkeit, etwa zum Klimawandel (climate change communication) oder dem traditionellen Umweltjournalismus. Eine Auseinandersetzung mit der übergreifenden Idee der Nachhaltigkeit findet in der Journalismusforschung verglichen dazu eher randständig statt. Wir haben uns zweierlei angeschaut. Erstens: was wissen wir darüber, wie über Themen der nachhaltigen Entwicklung geschrieben und berichtet wird – ohne dass dabei der Begriff selbst fallen muss? Hierzu hat sich in der internationalen Forschung inzwischen eine eigene Richtung entwickelt, die Interpretationsrahmen herausarbeitet – man spricht auch von Frames. Diese betten ein Thema in einen einfachen Deutungszusammenhang ein, der auch emotional schnell zugänglich ist. Gentechnik zum Beispiel lässt sich in einem Frame unter dem Aspekt von Risiken, unwägbaren Gefahren und bevorstehenden Katastrophen bearbeiten, in einem anderen Frame jedoch auch als Ansatz zur Modernisierung und technisch unterstützten Bekämpfung des Welthungers darstellen. Eine Zusammenstellung der verschiedenen Frames, die wir in der Literatur identifiziert haben, bereiten wir aktuell für die journalistische Aus- und Weiterbildung auf. Zweitens haben wir uns angeschaut, wie der Begriff „nachhaltig“ selbst journalistisch benutzt wird.
Sechs überregionale Zeitungen und ein Zeitraum von 1995 bis 2014. Das klingt nach einer ganzen Menge Analysearbeit. Gibt es einen ganz allgemeinen Trend, der sich für diese (fast) zwei Jahrzehnte feststellen ließ, oder wäre das zu einfach?
Tatsächlich hat die Analyse ein halbes Jahr gedauert, da wir sowohl qualitativ als auch quantitativ gearbeitet haben. Zum einen haben wir in der Breite für 20 Jahre die Anzahl der Begriffsverwendungen ermittelt, übrigens auch für „Konkurrenzbegriffe“ wie „Umweltschutz“ oder relativ neue Trendthemen wie „Energiewende“. Bei drei Jahren (2001, 2007 und 2013) sind wir in die Tiefe gegangen und haben uns alle Begriffsverwendungen einzeln angeschaut und diese nach verschiedenen Verständnissen von Nachhaltigkeit kodiert. Insgesamt waren das über 20.000 Prüfvorgänge.
Für den breiten Untersuchungszeitraum der 20 Jahre ist zunächst festzustellen, dass der Begriff heute in etwa doppelt so häufig auftaucht wie zu Beginn des Untersuchungszeitraums. Interessanterweise scheint er dabei in keinem unmittelbaren Konkurrenzverhältnis zu stehen etwa zum Begriff „Umweltschutz“, der in unveränderter Häufigkeit verwendet wird. Nicht vergessen sollte man jedoch in der Einordnung dieses Befundes, dass der Begriff der Nachhaltigkeit heute trotzdem erst in lediglich 2% aller publizierten Artikel auftaucht.
Wie wird Nachhaltigkeit in den deutschen Medien am häufigsten thematisiert? Steckt der Begriff in einer “Öko-Ecke“ oder ist er inzwischen kein Nischenbegriff mehr?
Spannend wird es, wenn man sich die Ergebnisse der Tiefenstudie anschaut – wenn man also danach fragt, mit welcher Bedeutung der Begriff verwendet wird. Hier haben wir festgestellt, dass der Begriff nachhaltig* vor allem alltagssprachlich verwendet wird – das heißt im Sinne von „dauerhaft“, „lang anhaltend“ oder „besonders intensiv“. So wird etwa über einen besonders „nachhaltigen“ Abgang des Weins geschrieben. Dieser Bedeutung ließen sich im Jahr 2013 noch immer über die Hälfte aller Nennungen zuweisen. Wenn man allerdings bedenkt, dass im Jahr 2001 noch über 75% aller Nennungen eine alltagssprachliche Bedeutung zugrunde lag, lässt sich erkennen, dass sich eine Schärfung des Begriffs abzeichnet. Dies wird auch dadurch belegt, dass Verwendungen des Begriffs im Sinne einzelner Nachhaltigkeitsdimensionen (ökologisch, wirtschaftlich, sozial) zwischen den drei untersuchten Jahrgängen zunimmt – ebenso wie ein vernetztes Verständnis, das alle drei Aspekte integriert. Es gibt also durchaus empirische Anhaltspunkte dafür, dass der Begriff aus der Nische in den Mainstream kommt und auf diesem Wege eine semantische Aufladung erfährt, die sich an der vernetzten Bedeutung orientiert, wie sie seinerzeit 1992 in der Agenda 21 angelegt worden ist.
Hat sich eines der untersuchten Medien beim Thema Nachhaltigkeit in einer Weise besonders hervorgetan?
Es gibt tatsächlich Unterschiede zwischen den Medien – das ist auch zu erwarten. Diese Unterschiede bestehen jedoch stärker im Hinblick auf den Umfang, in dem der Begriff verwendet wird, und weniger in der Tendenz. So findet man in einzelnen Medien häufiger alltagssprachliche Verwendungen als in anderen, in der Tendenz ist Verwendung jedoch übergreifend abnehmend.
Gibt es eigentlich so etwas wie speziellen Nachhaltigkeits-Journalismus, oder betrifft Nachhaltigkeit alle möglichen Felder journalistischer Arbeit?
Lassen Sie mich eine Parallele ziehen zur Bildung. Dort wird diese Frage bereits seit mehr als zwanzig Jahren unter dem Begriff der „Bildung für nachhaltige Entwicklung“ diskutiert. Für die Schule etwa gilt als unbestritten, dass Nachhaltigkeit ein Querschnittsthema ist, das für jedes Feld pädagogischer Arbeit bedeutsam ist. Zugleich ist es nicht nur ein Thema. Die Herausforderung der Nachhaltigkeit wirft vielmehr in ganz grundsätzlicher Art und Weise die Frage danach auf, wie wir unsere Bildung so organisieren können, dass sie Menschen dazu befähigt, an der Gestaltung nachhaltiger Entwicklung aktiv mitwirken und teilhaben zu können. Die Idee der Nachhaltigkeit wird dadurch zu einer Orientierung für die Gestaltung einer modernen Bildungsphilosophie. Übertragen auf den Bereich des Journalismus sehe ich Nachhaltigkeit unbedingt als eine Perspektive und einen Denkrahmen, der für alle Felder journalistischer Arbeit relevant ist. Bildung und Journalismus ist die Ablehnung gemein, Menschen zu überwältigen oder sich für ein konkretes politisches Programm instrumentalisieren zu lassen. Beiden geht es darum, aufklärerisch zu wirken, Missstände zu hinterfragen und Übersicht und Orientierung zu schaffen als Voraussetzung dafür, dass Menschen in ihrer Handlungsfähigkeit gestärkt werden. Das bedeutet für mich auch, dass sich Journalismus nicht mit dem Verweis auf die Beliebigkeit des Nachhaltigkeitsbegriffs aus den gesellschaftlichen Interessenskämpfen um seine Deutungshoheit herausziehen darf. Angesichts dessen, was in den kommenden Jahren und Jahrzehnten auf dem Spiel steht, können wir auf den Beitrag einer qualitativ hochwertigen journalistischen Auseinandersetzung mit den Kontroversen und Handlungsfeldern nachhaltiger Entwicklung schlichtweg nicht verzichten.
Das Interview erschien zuvor im österreichischen Magazin für nachhaltigen Lebensstil „Biorama“.
Daniel Fischer forscht am Institut für Umweltkommunikation der Leuphana Lüneburg.
Die Studie entsteht im Rahmen der Initiative Nachhaltigkeit & Journalismus.