Von Patricia Klatt
Biologische Vielfalt gewinnt im Empfinden der breiten Öffentlichkeit erst langsam an Bedeutung, jahrelang hieß es: „Unser Dorf soll schöner werden.“ Die Natur konnte scheinbar beliebig verändert und passend gemacht werden, nach dem Motto: Grüne Städte, ja gerne, aber bitte nicht zu unordentlich. Mittlerweile erfreuen sich moderne Bewegungen wie Urban Gardening, Sky Farming oder urbane Landwirtschaft in den Städten einer großen Akzeptanz. Bekannte Beispiele sind der Prinzessinnengarten in Berlin Kreuzberg, das Design Quartier in Köln-Ehrenfeld (DQE) oder auch die „Eßbare Stadt Andernach“, die als angenehme Nebenwirkung der Anbauflächen in der Stadt einen großen Marketingeffekt dieses Projektes feststellen konnte. Das weltweit wahrscheinlich erfolgreichste Beispiel für Urban Farming findet man in Havanna, wo rund die Hälfte aller Nahrungsmittel vor Ort angebaut werden.
Etwas anders stellt es sich im öffentlichen Empfinden allerdings dar, wenn man städtische Grünflächen in eine „Wildniswiese“ umwandeln will, wenn Brachflächen vermeintlich verwildern und verdolte Bäche für teures Geld wieder renaturiert werden sollen. Die Verantwortlichen sehen sich nicht nur mit der Frage konfrontiert, wie ihre Flächen gestaltet werden sollen, sondern auch damit, wie viel „Unordnung“ dem Bürger zugemutet werden kann und was das alles in Zeiten klammer Kassen kosten darf. Es sind Stadtentwicklungskonzepte gefragt, die die bauliche Nutzung und Erschließung mit der Entwicklung von Grünelementen und Freiflächen kombinieren und dabei Naturschutzaspekte berücksichtigen. Bekannte Beispiele für eine erfolgreiche Umsetzung sind Hannover und Bad Saulgau, die bereits 2011 zur Bundes- und Landeshauptstadt der Biodiversität gewählt wurden. Bis 2015 will die oberschwäbische Kommune Bad Saulgau ein „artenreiches, insekten- und vogelfreundliches Begrünungskonzept“ auf allen öffentlichen Flächen, bei denen es möglich ist, verwirklichen. Und mit ihrem 2014 gestarteten Projekt „Urbane Wildnis“ unterstützt die Deutsche Umwelthilfe die vier Modellstädte Arnsberg, Berlin, Gelsenkirchen und Leipzig bei der Gestaltung unterschiedlicher Wildnisflächen in der Stadt, um nur einige Beispiele von vielen zu nennen. Stadtbrachen, städtische Wälder, naturnahe Gewässer, die Erhaltung großer, alter Bäume oder die Grünvernetzung sind Schlagworte, die jeder schon gehört hat und die in der Stadtplanung, wenn auch nicht zwangsläufig im öffentlichen Empfinden, eine immer stärkere Gewichtung erhalten. In Leipzig wurden Modellflächen sogar zu urbanen Wäldern umgestaltet, um grüne Flächen in der Stadt zu gewinnen. Auch verschiedene Firmen experimentieren mit der naturnahen Gestaltung von brachliegendem Firmengelände, um die Biodiversität einerseits und den Erholungsfaktor für ihre Mitarbeiter andererseits zu erhöhen. Baden-Württembergs grüner Ministerpräsident Winfried Kretschmann ließ sogar Teilbereiche des Gartens seiner Staatskanzlei in Stuttgart in einen naturnahen Garten umwandeln.
Eine Stadt gewinnt durch solche Maßnahmen als Lebensraum für viele Arten an Bedeutung, die in der Agrarsteppe keine Existenzgrundlagen mehr finden. Grünflächen und Privatgärten können Lebensräume in einer Art und Weise vernetzen, wie das außerhalb der Ortschaften durch den anhaltenden Flächenfraß nicht mehr möglich ist. Ein dichtes Straßennetz und intensiv genutzte Landschaften trennen die Lebensräume von Tieren, deshalb gibt es viele Anstrengungen, durch ein grünes Wegenetz einen Biotopverbund zu schaffen. Dieser darf aber nicht am Eingang der Stadt enden, da die Bemühungen dadurch ad absurdum geführt würden. Das Potential zu einer naturnahen Gestaltung und Vernetzung ist hier enorm.
Aber man muss sich wenig Illusionen machen – auch wenn die Verantwortlichen in den Städten und Gemeinden erkannt haben, dass mehr Natur auf den Flächen notwendig ist, heißt das noch lange nicht, dass die Bürger das genauso sehen und auch noch gut finden. Wiesen sehen „unordentlich“ aus, große, alte Bäume „machen Dreck und dienen womöglich auch noch als Brutbaum für die verhassten Saat- oder Rabenkrähen“. Hinzu kommt, dass Wildblumenwiese nicht gleich Wildblumenwiese ist, und dass gängige einjährige bunte Blütenmischungen für die heimische Insektenwelt in aller Regel uninteressant sind. Für eine insektenfreundliche Wildblumenwiese braucht man heimische, an die Region angepasste Wildblumen, die aber nicht bereits im ersten Jahr immer bunt und spektakulär sind und deshalb von vielen Leuten als ungepflegt abgelehnt werden.
Die Stadt Donzdorf in der Nähe von Stuttgart hat es trotzdem geschafft, sämtliche Beete im öffentlichen Bereich von einer Wechselbepflanzung auf mehrjährige Stauden umzustellen, die zuverlässig auch die heimischen Blütenbesucher anlocken. Viele Insekten haben eine mehr oder weniger enge Bindung an bestimmte Pollenquellen entwickelt, wie zum Beispiel die Natternkopf-Mauerbiene (Osmia adunca), die den gewöhnlichen Natternkopf (Echium vulgare) benötigt. Auch Schmetterlinge benötigen als Raupen meist besondere Futterpflanzen, die auf dem „exotischen“ Markt kaum zu finden sind. Bläulinge wie der Hauhechel-Bläuling oder der Kleine Feuerfalter brauchen mit Hornklee und kleinem Sauerampfer heimische Pflanzen. Entsprechendes gilt auch für Wildstauden, die in puncto Biodiversitätsförderung den Zierpflanzen deutlich überlegen sind. Bunte Hecken aus Berberitze, Schneeball, Holunder, Hundsrose oder Hartriegel sind die Favoriten für die heimische Vogelwelt.
Viele Kommunen umgehen kontroverse Diskussionen und verfolgen ganz pragmatisch und zeitnah umsetzbar die Strategie „mehr Natur an den Flächen, wo es möglich und englischen Rasen dort, wo es nötig ist“. Sie bieten damit einen Kompromiss zwischen Ordnung und biologischer Vielfalt an, mit dem die meisten Leute leben können. Vor 30 Jahren wäre das weder der Politik noch den Bürgern so vermittelbar gewesen. Im Karlsruher Stadtteil Oberreut ist der Grünzug Schmallen ein Beispiel für die Kategorie „Blumenwiesen“, die in der Regel einmal und in regenreichen Jahren zweimal pro Jahr gemäht wird. Dort wachsen Wiesensalbei, Wiesenflockenblume, Wilde Möhre oder Rotklee. Auch hier ist die Öffentlichkeitsarbeit ein wesentlicher Bestandteil des Konzeptes. Die Umsetzung und der langfristige Nutzen von mehr Natur im Siedlungsgrün müssen vernünftig kommuniziert werden, um die generelle Akzeptanz zu erhöhen. Mit Flyern, Infotafeln und entsprechender Pressearbeit müssen die Kommunen den Bürgern die Umgestaltung der Flächen erklären, Kindergärten und Schulen sollten mit einbezogen werden, denkbar wären auch „Bürgerpatenschaften“ für bestimmte Flächen. Sonst kann es einer Kommune so ergehen wie den Verantwortlichen in einer badischen Kleinstadt, die einen Kreisverkehr naturnah mit mehrjährigen Stauden bepflanzen ließ. Dies rief die Proteste eines örtlichen Vereins ob des ungepflegten Kreisels hervor, die Stauden wurden wieder entfernt und eine wesentlich teurere Wechselbepflanzung vorgenommen. Nun muss der Bauhof alle paar Wochen neue Stiefmütterchen und ähnliches pflanzen, es muss gewässert und gejätet werden – über die Kosten schweigt man sich aus. Dieselbe Kleinstadt unternimmt einen neuen Versuch, dort, wo es möglich ist, Wildnis zu etablieren, Flächen zu entsiegeln und alte Bäume trotz Krähenplage zu erhalten – diesmal allerdings mit begleitender Information durch die örtliche Presse und gleichzeitiger Aufklärung seitens der Stadt.
Hintergrund:
All diese kommunalen Biodiversitätsstrategien gehen letztendlich zurück auf das Übereinkommen über die biologische Vielfalt (Convention on Biological Diversity, CBD), das bereits 1992 bei der Konferenz der Vereinten Nationen für Umwelt und Entwicklung in Rio de Janeiro beschlossen wurde und das die Bewahrung der Lebensräume für zukünftige Generationen als Ziel hat. Diese Konvention ist geltendes Völkerrecht. Mit der Verabschiedung der Nationalen Strategie zur biologischen Vielfalt (NBS) am 7. November 2007 hat die Bundesregierung erstmals eine umfassende Strategie zum Erhalt der biologischen Vielfalt vorgelegt und ist damit dem Übereinkommen von Rio gefolgt. Die Jahre 2011 bis 2020 wurden weltweit zur Dekade der Biologischen Vielfalt erklärt und bis zum Jahr 2020 soll beispielsweise in Deutschland der tägliche Flächenverbrauch für Baumaßnahmen von gegenwärtig rund 100 ha pro Tag auf 30 ha pro Tag gesenkt werden. Die Deklaration „Biologische Vielfalt in Kommunen“ ist mittlerweile von mehr als 200 Städten und Gemeinden in Deutschland unterzeichnet worden. Darauf aufbauend haben 60 Kommunen im Februar 2012 das Bündnis „Kommunen für biologische Vielfalt“ gegründet, das dem Erfahrungsaustausch und der Verbreitung von erfolgreichen Praktiken und Strategien dienen soll.
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