Die Luft ist von einem Duft nach feuchtem Laub und Holz durchzogen. Vor mir liegen umgestürzte Bäume wie gefallene Riesen, ihre Wurzeln recken sich kreuz und quer. Hier, im Kranichsteiner Wald, wo der Sturm Fabienne vor Jahren seine Spuren hinterlassen hat, startet meine Entdeckungsreise.
Es war der 23. September 2018, als der Sturm Fabienne mit unerbittlicher Kraft über Deutschland hinweg fegte. Mit Geschwindigkeiten von bis zu 140 km/h hinterließ er eine Landschaft der Verwüstung. Der Kranichsteiner Wald, ein 1200 Hektar großes Naturschutzgebiet, wurde besonders schwer getroffen. Der Sturm hat in einer Kernfläche mit einem 235 Jahre alten Baumbestand viele Eichen und Buchen entwurzelt und umgeknickt. Der tonige Boden, der bei Trockenheit hart wird, ist hier schwer zu durchdringen. Buchen können nur flache Tellerwurzeln ausbilden, weshalb viele beim Sturm umgefallen sind. Eichen hingegen dringen mit ihren Pfahlwurzeln tiefer in den Boden ein, doch durch die extreme Trockenheit im Sommer 2018 waren viele wie einzementiert und brachen ab, als sie dem Wind nicht mehr standhalten konnten.
Ein Steig durch die Zeit
Um diesen Bereich für die Waldbesucher zugänglich zu machen, hat das Museum bioversum Jagdschloss Kranichstein im Auftrag von HessenForst den Fabienne-Steig konzipiert. Hier wird nichts aufgeräumt, stattdessen wird der Wald in Ruhe gelassen und durch den Fabienne-Steig zugänglich gemacht. „Wir würden uns freuen, wenn Kinder und Erwachsene hier ein Gefühl für den Wald bekommen“, erklärte Forstamtsleiter Hartmut Müller.
Während ich den 800 Meter langen Fabienne-Steig entlang gehe, spüre ich eine seltsame Verbundenheit – der Sturm, der Steig und ich teilen denselben Namen. Der Steig ist gesäumt von umgefallenen Bäumen und dichtem Unterholz. Hier hat der Sturm seine Spuren hinterlassen.
Der Fabienne-Steig ist Teil der 27.000 Hektar großen Kernflächen, die Hessen seit 2013 als Naturschutzgebiete ausgewiesen hat. In diesen Bereichen wird keine Bewirtschaftung mehr betrieben. Sieben Stationen entlang des Steigs informieren über den Wald und seine Reaktionen auf Stürme und den Klimawandel. Trotz der Zerstörung zeigt der Wald bereits jetzt Zeichen der Erholung und Veränderung und offenbart seine bemerkenswerte Regenerationskraft.
Während ich weiter gehe, führt mich der Pfad durch dichtes Unterholz und über umgestürzte Baumstämme, die natürliche Brücken bilden. Manchmal muss ich mich ducken, fast kriechen, um vorwärts zu kommen. Es scheint, als ob der Wald mich prüft, mich verlangsamt und meine Aufmerksamkeit fordert.
Seit Herbst 2020 führt der Steig mitten durch die Windwurffläche des unbewirtschafteten Waldgebiets. Große Wurzelteller ragen empor, Baumriesen liegen am Boden. Trittsteine aus Baumscheiben und andere Kletterhilfen helfen mir voranzukommen.
Die Kletterhilfen wurden von Auszubildenden der Peter-Behrens-Schule in Darmstadt gefertigt.
Die Natur regeneriert sich
Dort, wo der Sturm einst alles veränderte, sprießen nun neue Lebensformen. Pflanzen und Tiere erobern die offenen Flächen zurück. Ein alter Baumstamm, entwurzelt vom Sturm, zeigt mir die eindrucksvolle Mikrowelt der Natur – Moos verziert den Stamm, kleine Insekten huschen umher. Es riecht nach feuchtem Holz. Es ist ein erdiger, beruhigender Geruch, der mich an meine Kindheit erinnert, als ich stundenlang im Wald spielte.
Totholz bietet neuen Lebensraum
Ein so starker Sturm im Wald wirft viele alte, dicke Bäume um oder bricht sie ab. Dadurch verlieren Tiere und Pflanzen, die auf lebendes oder absterbendes Holz angewiesen sind, auf einen Schlag viel Lebensraum. Gleichzeitig stellt das entstandene Totholz einen wichtigen Lebensraum dar, der von vielen Organismen genutzt wird.
Der hohe Totholzanteil in diesem unbewirtschafteten Waldstück schafft Lebensraum für spezielle Arten wie den Hirschkäfer und den Eremit, die auf solche Bedingungen angewiesen sind. An der sechsten Station erfahre ich, dass diese Windwurffläche vor dem Sturm ein wichtiges Habitat für den Heldbock war, der absterbende, aber keine toten Eichen braucht. Der Sturm hat viele dieser Lebensraumbäume für den Heldbock zerstört. Im Gegensatz dazu nutzt der Hirschkäfer die abgestorbenen Bäume zur Eiablage und profitiert somit von den Folgen des Sturms. Pilze, Bakterien und Tiere zersetzen das Holz und führen Nährstoffe zurück in den Waldkreislauf.
Wie viele Geschichten könnte dieser Wald erzählen, wenn er sprechen könnte? Während ich weitergehe, denke ich an die größeren Veränderungen, die der Klimawandel mit sich bringt. Die alten Bäume, die dem Sturm nicht standhalten konnten, sind ein klares Zeichen dafür, wie verwundbar dieses Ökosystem ist. Die Sommer- und Herbststürme werden häufiger und intensiver. Diese Stürme können mehr Schaden anrichten als Winterstürme, weil die Belaubung die Angriffsfläche vergrößtert. Bäume sind besonders gefährdet, wenn der Wind stark und böig ist, also abrupt die Richtung wechselt.
Die Bäume passen sich an
Laubbäume entwickeln Zugholz auf der Seite, die der Belastung ausgesetzt ist, wie beispielsweise dem Wind oder einer Hanglage. Dieses Holz stärkt die Seite, die Zugkräften ausgesetzt ist. Nadelbäume hingegen bilden Druckholz auf der gegenüberliegenden Seite aus, um Druckbelastungen besser zu widerstehen. In diesem Waldstück wachsen die Bäume der Sonne entgegen und bilden Reaktionsholz, um stabil zu bleiben.
Ein Wald im Wandel
Die Kontraste sind erstaunlich – hier dichte, dunkle Abschnitte, dort helle Lichtungen, wo die Sonne den Waldboden erreicht. Die verschiedenen Altersstufen der Bäume sind klar erkennbar. Einige der alten Eichen, die wahrscheinlich schon zur Zeit der französischen Revolution wuchsen, stehen noch immer majestätisch.
Diese Stieleiche wurde nach Karl Hesse benannt, der bis 1945 Chef der Hessen-Darmstädischen Landesfortverwaltung war.
An der letzten Station erfahre ich mehr darüber, wie sich das Waldstück entwickelt: Schnell wachsende Pionierbäume wie die Birke gedeihen gut unter den plötzlich verbesserten Lichtverhältnissen. Sie können jedoch nur für einen begrenzten Zeitraum, etwa 80 Jahre, Bestand haben. Andere kleinere Baumarten wie Elsbeere, Eberesche und Feldahorn, die nach dem Sturm hier aufkommen, haben es nicht so leicht. Diese Arten sind darauf angewiesen, sich langfristig am Rand des Waldes zu etablieren, da sie nicht mit der dominanteren Buche konkurrieren können.
Die Eiche, die viel Licht benötigt, wird langfristig Schwierigkeiten haben zu überleben, da sie von der Buche überschattet wird. Im Gegensatz dazu wird die Eibe, die sich gut an schattige Bedingungen anpasst, auch in Zukunft hier gedeihen können.
Ohne die großen Bäume mit ihren dichten Kronen dringt jetzt wesentlich mehr Licht auf den Waldboden. Dadurch können viele niedrig wachsende Pflanzen und Gräser gedeihen, die zuvor im Schatten keine Möglichkeit hatten, sich zu entwickeln.
Der Fabienne-Steig zeigt mir, wie fragil und zugleich stark die Natur sein kann. Dieser Wald hat viel zu erzählen, und ich hoffe, dass ich einen kleinen Teil dieser Geschichte weitergeben konnte. Er zeigt nicht nur die Verwüstung eines Sturms, sondern auch die unglaubliche Widerstandskraft und Anpassungsfähigkeit der Natur. Sie kann sich erholen und tut es auch, wenn wir sie lassen. Der Sturm mag den Wald verändert und Lebensräume zerstört haben, aber er hat auch die Bühne für neues Leben bereitet.