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„Halbverhungert und Spaßbefreit“

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Vegetarismus ist in der Öffentlichkeit angekommen – auch dank Jonathan Safran Foers‘ Bestseller „Eating Animals“. (Quelle: reway2007/CC BY-NC-SA 2.0)

Von Jacqueline Vieth

Dr. Markus Keller ist Ernährungswissenschaftler und Gründer und Leiter des Instituts für alternative und nachhaltige Ernährung (IFANE). Er hat verschiedene Bücher zum Thema Vegetarismus publiziert. Im Interview räumt er mit einigen Gerüchten und Mythen über vegetarische und vegane Lebensweise auf, die sich seit Jahren hartnäckig halten – trotz, aber auch wegen der Berichterstattung.

Wenn man sich bewusst und gut informiert vegetarisch oder vegan ernährt: Gibt es gesundheitliche Nachteile gegenüber Fleischessern?

Ich würde es nicht als Nachteil bezeichnen, sondern als Herausforderung. Die gesundheitlichen Vorteile der vegetarischen Ernährung überwiegen die Nachteile bei weitem, was man anhand der aktuellen Studienlage auch sieht. Nur die Versorgung mit einigen Nährstoffen ist potentiell kritisch. Das bedeutet, dass die Zufuhr unterhalb der allgemeinen Empfehlungen liegen kann. Die Empfehlung ist aber nicht das Gleiche wie der Bedarf des Körpers, das wird oft verwechselt. Empfehlungen sind das, was zum Beispiel die Gesellschaft für Ernährung herausgibt, um sicherzustellen, dass 98,5 Prozent der Bevölkerung mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit ausreichend mit den Nährstoffen versorgt werden. Da sind Sicherheitszuschläge mit einberechnet, außerdem bezieht sich diese Empfehlung auf alle Bevölkerungs- und Altersgruppen. Die Zufuhr kann geringer sein als das, was empfohlen wird und für eine Person trotzdem ausreichen. Mit den Empfehlungen ist man eben auf der sicheren Seite.

Um welche Nährstoffe geht es?

Vor allem um Eisen, Zink und die Omega-3-Fettsäuren. Die Omega-3-Fettsäuren kennt man vor allem vom Fisch-Verzehr. Die Fische haben einen so hohen Gehalt dieser Säure, da sie Algen essen, die diese Fettsäuren produzieren. Eisen ist im Prinzip kein typisch vegetarischer Problemnährstoff, sondern eher ein problematischer Frauennährstoff. Studien zeigen, dass vegetarisch und vegan lebende Männer mit Eisen genauso wenig Probleme haben, wie die Fleisch essenden Männer. Bei Frauen liegt es am Blutverlust und sehr wenig an der Ernährung. Das kommt bei vegetarisch lebenden Frauen nicht häufiger vor. Das denken viele, ist aber schon seit mehr als 25 Jahren widerlegt. Meistens nehmen die Vegetarier sogar mehr Eisen auf, allerdings pflanzliches Eisen, und das kann der Körper schlechter resorbieren, als Eisen aus tierischen Produkten. Das kann man aber ändern, indem man eisenreiche Lebensmittel mit Vitamin-C-reichen Lebensmitteln kombiniert.

Was ist mit dem von Ihnen angesprochenen Zink?

Auch die Aufnahme von Zink aus pflanzlichen Lebensmitteln ist schwieriger als aus tierischen. Das hat mit Hemmstoffen zu tun, die in den Samen enthalten sind, zum Beispiel in Nüssen und Getreide. Die Versorgung im Blut ist aber meistens ausreichend. Der Körper reagiert darauf damit, dass er von dem geringeren Angebot an Nährstoffen mehr resorbiertDie Versorgung im Blut ist also meistens ausreichend. Es ist immer eine Frage der Lebensmittelzusammenstellung: Wenn ich viel vegetarisches oder veganes Junkfood esse, dann habe ich auch wenig Vorteile bezüglich der Nährstoffe. Wenn ich allerdings viel frische Lebensmittel und Vollkornprodukte konsumiere, dann kann ich meine Nährstoffversorgung sicherstellen. Wir wissen aus Studien, dass Vegetarier und Veganer eher besser gebildet und informiert sind als die Fleischesser, die sich dann darum sorgen machen, dass die Vegetarier schlecht versorgt sind. Bei Veganern gibt es noch mehr Nährstoffe, auf die man achten muss. Allen voran Vitamin B12. Den muss man ergänzen, da er in pflanzlichen Produkten praktisch nicht vorkommt. Das machen die meisten aber auch.

Angenommen, ein Großteil der Weltbevölkerung würde sich zum Vegetarismus bekennen. Was wären die ökologischen Auswirkungen? Stichwort: Regenwaldrodung für Sojaanbau.

Auch das ist so ein Märchen, das sich hält. Der absolute Großteil der weltweiten Sojaproduktion geht ja nicht in die veganen Würstchen, sondern in die Tierfütterung für die Fleisch- und Milchproduktion. In jedem Geflügeldöner haben Sie acht Mal so viel Soja wie in einem Sojaburger. Das ist den Leuten nicht klar. Selbst wenn „nur“ 50 Prozent der Weltbevölkerung auf vegetarische Ernährung umsteigen würde, wäre es eine Erleichterung. Berechnungen der UNEP 30 zeigen, dass das, was wir im Jahr 2050 allein an Getreide an Tiere verfüttern werden, dem Nahrungskalorienbedarf von 3,5 Milliarden Menschen entspricht. Es gibt Berechnungen, laut denen wir mit dem, was wir schon heute an Nahrungsmitteln produzieren, 12 Milliarden Menschen ernähren könnten. Aber es wird eben ein großer Teil verschwendet an die Tierfütterung. Das trägt auch zur schlechten Welternährungslage bei. Wenn alle vegetarisch oder vegan leben würden, hätte man auf einmal viel mehr Ressourcen zur Verfügung

Es wäre also gut für den Regenwald?

Die Rechnung ist einfach: Ich brauche ein Vielfaches an Soja um ein Kilo Fleisch zu erzeugen. Bei Schwein zum Beispiel steckt man 3 Kalorien rein um später eine Kalorie heraus zu bekommen. Bei Rindfleisch ist es ein Verhältnis von 20 zu 1. Mit mehr Vegetariern würden die Agrarflächen ausreichen, man bräuchte das Weideland nicht, um die Ernährungssicherheit der Weltbevölkerung sicher zu stellen.

Wie sieht es mit dem Klima aus?

Beim Klima ist es genauso: Ich erzeuge deutlich mehr Klimagase in der Herstellung von tierischen Produkten als bei Pflanzen. Studien zeigen, dass ich, wenn ich in Deutschland von Mischkost auf vegetarische Ernährung umsteige, meine Klimagase im Ernährungsbereich etwa halbieren kann. Auch den Wasserverbrauch kann ich in Bezug auf Ernährung um etwa ein Drittel reduzieren. Als Veganer könnte man 90 Prozent der Klimagase in Bezug auf Ernährung reduzieren und zwei Drittel des Wasserverbrauchs. Diese 90 Prozent müssten wir eigentlich erreichen, um wie vereinbart bis 2050 die Klimagase um 80 – 90 Prozent im Vergleich zu 1990 zu reduzieren.

Gäbe es überhaupt keine Nachteile?

Es gibt eigentlich nur Vorteile. Natürlich gibt es bei einer Reduzierung der Fleischproduktion ökonomische Veränderungen, aber da fände man mit Sicherheit Lösungen. Das Hauptproblem ist in den Köpfen. Vielen ist klar, dass es besser für die Gesundheit ist, die Milch- und Fleischprodukte zu reduzieren. Viele Menschen wollen sich aber nicht verändern. Das ist ja in anderen Bereichen genauso.

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