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Zartes Pflänzchen, schon jetzt bedroht

Zarte Pflanze
„Das gesellschaftliche Umfeld des Medienbetriebs hat eine satt grüne Grundierung angenommen“, sagt Torsten Schäfer. „Ein sinnlastig-grüner Nähr- und Gärboden für den Journalismus.“ (Quelle: westpark, flickr.com, CC BY-NC-ND 2.0)

Von Torsten Schäfer

Die Ansprüche an die mediale Umweltberichterstattung steigen durch zunehmend komplexer werdende ökologische Problemstellungen und deren Verknüpfungen: Themen wie Klimawandel, Ernährungskrise und Artenschwund stehen in einem wechsel seitigen Verhältnis und erreichen stetig neue Krisendimensionen. Die Forschung reagiert und lanciert immer neue Projekte – die bewertet, sortiert und verständlich vermittelt werden müssen. Die Beschleunigung politischen und wirtschaftlichen Handelns verschärft die Kommunikationssituation nochmals: Immer mehr Wissen wird in kürzerer Zeit über neue Kanäle verbreitet.

Beide Entwicklungen machen die wissenschafts- und umweltjournalistische Arbeit, die professionelle Selektion und Übersetzung der Wissenschaft in verständliches Wissen, zu einer immer anspruchsvolleren Aufgabe. Diese wird durch eine massive Medienkrise erschwert, die viele journalistische Gewissheiten, seien es Finanzierungsmodelle, Recherchewege oder schlichtweg angemessene Verdienste, in einen erkenntnisfreien Orbit aus scheuen Vermutungen, panischen Ängsten und unhaltbaren Schnellschüssen katapultiert hat. Im Kern geht es um dreierlei: Geld, Aufmerksamkeits- und Rechercheverluste.

Visionen und Experimente entstehen allerdings auch im Zuge dieser Krise, weshalb man von einer journalistischen Fensterzeit sprechen kann, welche die digitial-mobile Revolution eingeleitet hat. Ein mediales Veränderungsfenster nie dagewesenen Ausmaßes hat sich geöffnet, das den Blick auf den schwarzen Orbit freigibt. Wer möchte, kann in der beunruhigenden Weite eine kreative Leere entdecken. Manche Journalist(inn)en und Redaktionen bringen diese Leere in Form, wie im Juli 2014 auf der Hamburger Tagung des Netzwerks Recherche, der einzigen journalistischen Fachmesse Deutschlands, zu sehen war: Ob crowdfinanzierte Qualitätsportale, stiftungsgetriebene Gemeinnützigkeitsprojekte oder Couchsurfing als Hilfe für Auslandsreporter(innen) – die Ideenvielfalt war im journalistisch-praktischen Segment wohl noch nie so groß wie heute.

Eingerahmt wird diese ambivalente Situation der Branche von einem kommunikativen Megatrend: dem neuen Gesellschaftsgrün, einer diffusen, aber gewaltigen Entwicklung hin zur Thematisierung von Umwelt, Natur und Nachhaltigkeit. Der Medienbetrieb reagiert und agiert innerhalb eines gesellschaftlichen Umfeldes, das in den vergangene zehn Jahren nicht nur sporadische grünliche Farbtöne bekommen, sondern eine neue, satt grüne Grundierung angenommen hat.

Weitab vom ökologieorientierten politischen Betrieb und ökonomischen Greenwashing Verquerungen ist ein gesellschaftliches Aufbruchsmilieu entstanden – seien es Gruppen des Foodsharing oder des Urban Gardening, Transition Towns oder Energiegenossenschaften –, das neue Werte betont: Naturnähe, Selbstwirksamkeit, Regionalität, Gemeinsinn, Ressourcenschonung, Konsumethik und Zeithoheit bilden den Rahmen eines einsetzen den Mentalitätswandels, der auf einer weitaus tiefer gehenden Ebene verläuft als das Wortgeschwurbel, die der Begriff der Nachhaltigkeit durch sein offenkundig großes (Interpretations-)potenzial bis hin zur vollen Verwässerung erleiden muss.

Da ist also eine zweite, inhaltliche Determinante journalistischen Handelns: ein sinnlastig-grüner, noch unsortierter Nähr- und Gärboden, der schon viele neue und sehr unterschiedliche Magazine, von Landlust bis Enorm, hervorgebracht hat. Keineswegs sind die genannten und durch neue Medien betonten Werte widerspruchsfrei und eindeutig hinsichtlich eines automatischen Nachhaltigkeitsfortschritts. Flucht und Futur, es gibt in der Bewegung beide Richtungen und daher auch in der verbreiterten Nische neue, härtere Medienstoffe wie etwa Zeozwei, klimaratter.info oder Oya, die für ernsthaftes Ergrünen stehen.

Dazu kommt, dass Umweltinhalte in den klassischen Medien stark zugenommen haben. Eine Renaissan ce des Umweltjournalismus, erweitert in der Betrachtung auf die Berichterstattung über Nachhaltigkeit, hat eingesetzt.

Lust auf Risiko – wie lange noch?

Es lässt sich dreierlei festhalten: Umwelt- und Nachhaltigkeitsfragen werden häufiger, komplexer und dringlicher thematisiert. Medien reagieren darauf sichtbar mit neuen Produkten, Formaten sowie klassischen Inhalten. Sie sind jedoch in einer strukturellen Krise, die ihnen komplexe Recherchen und insgesamt Qualitätsansätze zunehmend erschweren. Schon jetzt werden viele Recherchen und Projekte entweder durch das idealistische Engagement freier Autor(inn)en oder die Gelder nicht-journalistischer Akteure wie Stiftungen und Mäzene finanziert. Nur: Wie lange haben die Freien noch Lust auf Risiko? Wie sicher sind medienferne Geldquellen? Und was rettet bei weiteren Einsparungen den noch halbwegs funktionierenden massenmedialen Recherchekern: die wackere Suche und Bewertung komplexer Informationen in einer von Hypereile und Kollegenmangel bestimmten deutschen Durchschnittsredaktion? Gerade durch die gestiegene Medienaufmerksamkeit für grüne Themen werden typische Defizite in der Darstellung noch offenkundiger. Zu nennen sind fehlende Hintergründe, unnötig katastrophenzentrierte Perspektiven (es gibt auch umweltpolitische Erfolge!), monokausale statt multikausale Erklärungen, das Fokussieren auf Ereignisse statt auf Ursachen oder die Dominanz von Politik und Wirtschaft bei tendenziellem Ausblenden von Normalbevölkerung und Betroffenen. Hinzu kommen die Wiederholung von Stereotypen und Klischees und reaktives statt präventives Berichten. Gleichzeitig fehlt ein Herunterbrechen globaler oder auch nur europäischer Fragen auf lokale Lebenswelten.

Die Forschung beschreibt weitere Defizite wie etwa das Elitenproblem: Es scheint schwer, die Dimension der Nachhaltigkeit für die breite Bevölkerungsschicht aufzubereiten. Die neuen Formate, die zur Nachhaltigkeit entstehen, sind meist elitär orientiert. Dazu tritt eine thematische Verengung: Der mediale Diskurs zu grünen Themen ist noch stark von der Perspektive der Natur- und Ingenieurswissenschaften geprägt; gerne flankiert auch von der Kostenfrage, wie am Beispiel der verqueren Energiewendedebatte zu sehen ist. Soziale und kulturelle Betrachtungsweisen sind demgegenüber selten, Fragen nach Verantwortung, Gerechtigkeit, Partizipation und Lebensqualität werden überwiegend ausgeblendet.

Unterstützung für den Umwelt- und Nachhaltigkeitsjournalismus

Lassen sich solche Defizite eindämmen, ökologische Zusammenhänge in der Recherche besser verknüpfen und (bei ausreichendem Platz) mit sozialen und kulturellen Fragestellungen verbinden? Setzt sich, anders gefragt, journalistische Qualität im komplexen Feld der Nachhaltigkeit durch? Diese Fragen stehen vorne an. Denn wenn die Landheftelangfristig die einzige grüne Produktantwort mit Erfolg sein sollten, war vielleicht alles nur Lifestyle, Retroschick und Seelenflucht. Dies sind verständliche Motive, nur keine funktionalen für die Nachhaltigkeit, ohne die nichts sein wird, was ein gutes Leben in Europa für alle halbwegs bedeutet. Es muss aber nicht sein, denn in der Fensterzeit liegt derzeit materiell und ideell doch so einiges auf dem Tisch: hilfreiche Spenden, mutige Anschubinvestitionen, furiose Ideen, Experimentiergeist und viel journalistische Leidenschaft.

Dieses fruchtbare Substrat sollte genährt werden, um das zu ermöglichen, was wir alle brauchen – die professionelle Herstellung gesellschaftlicher Selbstverständigung zu relevanten Themen der Gegenwart und zentralen Fragen des künftigen Lebens. Dafür braucht es Recherchekompetenzen: Nach vorne schauen, zur Seite, kommende Krisen sehen und Verknüpfungen verstehen lernen – das sind Fähigkeiten, die gerade die komlexe Dimension der Nachhaltigkeit Medien abverlangt. Ebendiese sollten jetzt in der prekären Marktsituation gestützt werden durch Weiterbildungen, neue Studienangebote und andere Arten journalistischer Hilfe. Kostenpflichtige und zeitintensive Präsenzweiterbildungen haben es aber zunehmend schwer; das gilt einmal mehr für thematische Kurse, die im Vergleich zu purem Handwerkszeug vermeintlich obsolet erscheinen.

Ein Hilfsmittel in dieser paradoxen Lage, so dachte der Kommunikationswissenschaftler Peter Seeger von der Hochschule Darmstadt, können kostenlose und gemeinnützige Rechercheplattformen sein, gerade zum äußerst relevanten Feld der nachhaltigen Entwicklung. Daher hat im Frühjahr 2014 ein Team seiner Hochschule das Medien- und Rechercheforum „Grüner-Journalismus“ gestartet.

Die grundlegende Idee ist es, Umwelt- und Nachhaltigkeitsjournalismus zu unterstützen, zu beobachten und fortzuentwickeln. Damit ist die Hochschule nicht allein: Umweltjournalistische Projekte sind in den vergangenen Jahren einige gegründet worden, seien es der „Mediendoktor Umwelt“ an der TU Dortmund (Qualitätscheck durch Fachjournalist(inn)en), neue Publikationsreihen und Forschungsprojekte (TU Ilmenau, Universität Hamburg) oder erste Studienangebote in Ansbach, St. Augustin und Lüneburg. Auch wenn sich die Macher(innen) dieser Initiativen austauschen, sind die einzelnen Projekte doch unabhängig voneinander entstanden, was zeigt: Journalistik und der aus- und weiterbildende Journalismus haben die Relevanz des Themenfeldes Umwelt und Nachhaltigkeit (endlich) erkannt und sind aktiv. Das Forum Grüner-Journalismus soll im neuen Projektgeflecht der praktische Recherchehelfer undSpektrum Nachhaltigkeit Ideengeber sein. Zielgruppe sind alle Journalist(inn)en, die grüne Themen interessant finden und die auf der Suche nach Aufhängern, Quellen oder Expert(inn)en sind. Aus- und Weiterbildung, Forschung, neue Studien – auch darüber wird berichtet. Dabei schreibt das Projektteam, das aktuell aus zwei Professoren und zwei Mitarbeite r(inne)n besteht, eigene Beiträge. Vor allem aber versteht sich Grüner-Journalismus auch als Sammelstelle für bereits veröffentlichte Beiträge und journalistische Werkzeuge. Entsprechend verlinkt die Redaktion auf andere Angebote und übernimmt andernorts publizierte Artikel.

Geschichten statt Berichte

Ein wichtiger Baustein sind Dossiers zu Einzelthemen der nachhaltigen Entwicklung. Grüner-Journalismus fasst Nachhaltigkeit mehr als eine Dimension denn als ein geschlossenes Thema auf, zu dem es etwa eigene Ressorts geben müsste. Die Texte erklären nicht neu, was beispielsweise die Energiewende ist oder wie sie politisch besser zu planen sei; sie arbeiten vielmehr das Feld aus einer journalistischen Perspektive auf und fragen, wo die mediale Debatte erhitzt ist, wo Lücken bestehen und was spannende Themenideen sind. Ein weiterer Baustein ist ein kompakter grüner Quellenkatalog, der nach Bereichen wie Politik, Wissenschaft und Verbänden geordnet ist. Das Projekt wird derzeit durch die Nachhaltigkeitsstiftung „Forum für Verantwortung“ finanziert. Grüner-Journalismus steht auch ein Beirat zur Seite, der in erster Linie aus erfahrenen Fachjournalist(inn)en besteht. Wissenschaftlich kooperiert das Projekt mit dem Institut für Umweltkommunikation der Leuphana-Universität Lüneburg. Gemeinsam stellt sich der Verbund aktuell Fragen, die viele Kommunikationsakteure beschäftigen: Wie lassen sich aus Datenmengen neue Themen erschließen? Und auf welche Art kann es gelingen, komplexe und negativ besetzte Themen wie die Erderwärmung anschaulich und lebendig zu vermitteln – nach 20 Jahren größtenteils gescheiterter, moralinsauer und meist kognitiv gedachter Klimakommunikation?

Ein mögliches Rezept ist, Geschichten statt Berichte zu schreiben, weshalb Storytelling und grüne Themen ein Arbeitsschwerpunkt sein wird. Der Blick geht hier in die USA, wo mit einer etablierten umweltjournalistischen Szene (starker Berufsverband, mehr als 20 Studienmöglichkeiten) und hierzulande wenig bekannten Traditionen wie dem Nature Writing bislang ungenutzte Denkanstöße und Themen brach liegen.

Dies ist eine Zweitveröffentlichung. Ursprünglich wurde der Text in politische ökologie 138 veröffentlicht.

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