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Verlorene Dunkelheit: Die stille Bedrohung durch Lichtverschmutzung

Donnerstag, 23:55 Uhr. Die Stadt schläft bereits. Trotz des hell schimmernden Waldes aus Straßenlaternen laufe ich um diese Uhrzeit immer etwas schneller als sonst. Die grell erleuchteten Straßen sollen das Gefühl von Sicherheit vermitteln, wobei ich mich auf der lichtüberfluteten Brücke eher wie auf einem Präsentierteller fühle. Meine visuelle Wahrnehmung ist so überreizt, dass ich das Gefühl habe, meine anderen Sinne werden entschärft. Die Massen an weißem, orangem und blauem Licht lassen den sternenleeren Himmel umso dunkler erscheinen und die Grenzen zwischen Tag und Nacht verschwimmen. Während ich weiter durch die Weinheimer Innenstadt gehe, bemerke ich, wie die Schaufenster der Geschäfte auch um Mitternacht noch hell erleuchtet sind, als würden sie auf Käufer warten, die längst nach Hause gegangen sind. Leuchtreklamen blinken in verschiedenen Farben, eine endlose Parade von Werbebotschaften, die das Auge kaum erfassen kann, bevor sie zur nächsten übergehen. Die Straßen sind fast menschenleer, doch die Stadt wirkt durch die unablässige Beleuchtung lebendig, als würde sie nie zur Ruhe kommen.

Historische Entwicklung

Diese enorme Belastung und die negative Veränderung des nächtlichen Orts- und Landschaftsbildes durch künstliches Licht hat sich in den letzten Jahren enorm gesteigert. Bereits vor zehn Jahren lebte der Großteil der Weltbevölkerung unter einem lichtverschmutzten Himmel, und die Städte und Länder werden jedes Jahr heller. Dieser drastische Anstieg lässt sich, laut des Hessischen Netzwerks gegen Lichtverschmutzung, vor allem auf den Umstieg auf LEDs zurückführen. Da der Verbrauch viel geringer ausfällt und somit auch die Kosten signifikant gesenkt werden, werden die kaum vorhandenen Beleuchtungspflichten oftmals außer Acht gelassen. Licht erzeugt Aufmerksamkeit, und das wird besonders von Firmen und Geschäften genutzt. Zum einen werden Werbeanzeigen nachts durch künstliches Licht in Szene gesetzt, um den Umsatz des nächsten Tages zu sichern. Zum anderen werden die meisten Geschäfte auch nach Ladenschluss noch so stark beleuchtet, dass man meinen könnte, der Letzte habe vergessen, das Licht auszumachen. Die Begründung: Einbruchsprävention. Dass mittlerweile bekannt ist, dass Einbrecher ihren Fokus auf andere Faktoren legen als auf die Helligkeit ihres Ziels, wird dabei gekonnt ignoriert. Auch die zum Teil langjährigen Erfahrungen in Kommunen mit Nachtabschaltungen werden kaum mehr berücksichtigt. Als 2022 die Innenstädte wegen der Energiekrise dunkler wurden, blieb die befürchtete Folge eines drastischen Anstiegs an Verbrechen aus. Die evolutionär bedingte Suche nach Sicherheit verleitet dazu, die vermeintlichen Vorteile der Dauerbestrahlung schwerer zu gewichten als die faktisch bewiesenen Nachteile. Dass nächtliche Lichtabschaltung trotzdem erfolgreich umgesetzt werden kann, zeigen bereits jetzt viele Städte sowohl in Deutschland, wie zum Beispiel Braunfels und Gütersloh, als auch flächendeckend in Frankreich.

Von einer solchen Einschränkung lässt sich hier nur träumen, auch wenn Schlaf in dieser grellen Beleuchtung kaum möglich ist. Ich biege in eine kleinere Seitenstraße ein, wo das Licht der Laternen etwas schwächer ist, doch auch hier gibt es keine wirkliche Dunkelheit. Die Fenster der Wohnhäuser strahlen in einem warmen Gelb, während auf den Balkonen Lichterketten flimmern, die eine gemütliche Atmosphäre suggerieren sollen. Dennoch fehlt etwas Essenzielles: die natürliche Dunkelheit der Nacht. Das leise Rauschen des Windes in den Blättern wird vom ständigen Brummen der Beleuchtung übertönt. Ich denke daran, wie anders die Nacht fernab der Stadt in der Natur ist, wo die Dunkelheit eine schützende Decke bildet. Hier, in der Stadt, ist diese Dunkelheit vertrieben worden, ersetzt durch ein künstliches Zwielicht, das weder Tag noch Nacht ist.

Neue Gesetzgebungen

Ein kleiner Hoffnungsschimmer ist jedoch erkennbar. Naturschützer scheinen zunehmend Einfluss zu gewinnen und die Politik zum Umdenken zu bewegen. Durch den Zusatz § 41a BNatSchG wird das Insektenschutzgesetz verbessert, das den Schutz vor künstlichem Licht verstärkt. Allerdings ist das Gesetz noch nicht vollständig in Kraft, da die entsprechende Rechtsverordnung fehlt. Trotzdem können schon jetzt Beleuchtungsanpassungen bei Neubauten und Renovierungen verlangt werden. In Hessen wird das Problem der Lichtverschmutzung zusätzlich im Hessischen Naturschutzgesetz unter § 4 HeNatG und § 35 festgehalten. Dort wird ebenfalls die Vermeidung von Lichtemissionen gefordert, um tag- und nachtaktive Arten zu schützen.

Auf meinem weiteren Weg fallen besonders die starken Scheinwerfer auf, die die Fassaden einiger Altbauten in grelles Licht tauchen. Diese Strahler, die ursprünglich dazu gedacht waren, die Architektur zu betonen, wirken jetzt fehl am Platz und übertrieben. Die Schönheit der alten Gebäude wird von der übermäßigen Beleuchtung überstrahlt und verliert ihren Charme. Ich erinnere mich an früher, als diese Straßen noch dunkel waren und die alten Mauern im Mondlicht beinahe mystisch wirkten. Heute scheint das Bedürfnis nach ständiger Helligkeit jede Romantik und Ruhe der Nacht zu verdrängen.

Folgen der Lichtverschmutzung auf Mensch und Tier

Es gibt Orte, an denen die Lichtverschmutzung ein so hohes Maß erreicht hat, dass sich die Augen der dort lebenden Menschen nicht mehr an völlige Dunkelheit gewöhnen können. „So etwas wie eine insektenfreundliche oder umweltfreundliche Beleuchtung gibt es nicht – künstliche Beleuchtung ist immer eine schädliche Einwirkung auf Natur und Umwelt. Wir müssen so gut es geht darauf verzichten, und wenn dann doch beleuchtet werden soll, muss es bestmöglich insektenschonend und umweltschonend erfolgen.“ Das sagt Frau Ingeborg Peine, Mitglied im Vorstand des BUND Hessen und Sprecherin für Naturschutz im Kreisverband Fulda. Zudem wirkt sich, laut des Leibniz-Instituts für Gewässerökologie und Binnenfischerei, künstliches Licht mit höheren Blauanteilen, wie es bei LEDs häufig der Fall ist, negativ auf die Schlafphasen aus. Durch das Licht wird demnach die Bildung des sogenannten Dunkelhormons Melatonin gesenkt, was ein Ungleichgewicht des natürlichen Tag-Nacht-Rhythmus zur Folge hat. 

Aber nicht nur Menschen leiden unter der Dauerbelastung durch künstliches Licht. Wie Frau Peine erklärt, wird durch die nächtliche Beleuchtung die biologische Vielfalt massiv und teilweise unumkehrbar geschädigt. Flora und Fauna werden in ihren Funktionen gestört, was dazu führt, dass ganze Steuerungsmechanismen von Lebensfunktionen aus den Fugen geraten. Die fehlenden Erholungs- und Regenerationsphasen sind für tagaktive Lebewesen ein großes Problem. Nachtaktive Tiere leiden an Blendung und Orientierungslosigkeit und finden ihre Nist- und Futterplätze nicht mehr. Zugvögel werden durch künstliches Licht von ihren Routen abgelenkt und erreichen ihre Zielgebiete nicht, weil sie vor Erschöpfung aufgeben müssen. Bodenlebewesen, die durch künstliches Licht in ihrer Vermehrung gestört werden, tragen nicht mehr zur Bodenfruchtbarkeit bei, was sich negativ auf das Klima, die Wasseraufnahme und die Humusbildung auswirkt. Lebensräume und Vermehrungsorte werden zerstört. Krankheiten und ein Rückgang der Fortpflanzungsraten, im schlimmsten Fall das Aussterben von Arten, sind die Folgen. 

Ich bleibe bei einer Straßenlaterne stehen, die von einem Schwarm Nachtfalter umkreist wird. Die Falter flattern hektisch im Lichtkegel, als wären sie gefangen und orientierungslos. In ihrer natürlichen Umgebung würden sie in der Dunkelheit nach Nektar suchen und wichtige Pflanzen bestäuben. Doch hier, geblendet vom künstlichen Licht, finden sie weder Nahrung noch Ruhe. Es ist ein bedrückendes Bild, das zeigt, wie sehr die Beleuchtung in die Lebensräume und Verhaltensweisen der Tiere eingreift. 

Was kann man als Einzelperson tun?

Wie Frau Peine sagt, umweltfreundliche Beleuchtung gibt es nicht, und somit ist es notwendig, sich damit auseinanderzusetzen, wo und wann künstliches Licht tatsächlich notwendig ist und was es zu vermeiden gilt. 


Hier sind einige Vorschläge für ein umweltbewussteres Verhalten in Bezug auf Beleuchtung, die Frau Peine allgemein empfiehlt:

  • Verzichten Sie grundsätzlich auf Kunstlicht in der Außenbeleuchtung, wo es möglich ist, und verwenden Sie Bewegungsmelder, um Licht nur bei Bedarf einzuschalten.
  • Berücksichtigen Sie vorrangig lichtunabhängige Lösungen bei nicht vermeidbarer Beleuchtung.
  • Verwenden Sie warme Farbtemperaturen mit keinem oder nur geringen Blaulichtanteilen.
  • Ziehen Sie Vorhänge zu, um das Austreten von Licht aus dem Haus zu minimieren.
  • Fahren Sie nicht mit Fernlicht, wenn es nicht unbedingt notwendig ist.
  • Hinterfragen Sie kritisch, ob in Ihrer Straße das Licht nachts wirklich an sein muss. Kann es ab 22 Uhr abgeschaltet werden, wenn niemand unterwegs ist? Sprechen Sie Ihre Gemeinde darauf an und bitten Sie um Abschaltung.

Zudem kann sich jeder beim Hessischen Netzwerk gegen Lichtverschmutzung genauer über Auswirkungen, Folgen und Forderungen informieren und sich selbst engagieren. Ziel des Netzwerks aus Naturschutzverbänden, Sternwarten, Vereinen sowie engagierten Bürgerinnen und Bürgern ist es, die weitere Verschmutzung durch künstliches Licht zu verhindern.


Auf meinem Weg nach Hause fühle ich mich seltsam unruhig. Die Lichtverschmutzung hat nicht nur den Nachthimmel verändert, sie hat auch unsere Beziehung zur Nacht selbst beeinflusst. Es ist ein subtiler, aber tiefgreifender Verlust, der uns oft erst bewusst wird, wenn wir echte Dunkelheit erleben dürfen.

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