Von Christoph Schön
„Der Unterschied zwischen Landschaft und Landschaft ist klein, doch groß ist der Unterschied zwischen den Betrachtern“. Die aus dem 19. Jahrhundert stammende Weisheit des amerikanischen Philosophen Ralph Waldo Emerson ist heute noch brandaktuell. Denn weltweit gehen die Ansichten über die Gaben der Natur weit auseinander. Sicher ist: Es geht nicht nur um nutzbare Ressourcen wie zum Beispiel Fischvorkommen, sondern ebenso um Leistungen mit Servicecharakter wie die „Luftreinigung“ durch Wälder oder die CO2-Speicherfunktion von Pflanzen und Gewässern. Für diese Leistungen existiert kaum ökonomische Wertschätzung.
Diesen Missstand griff der Stern-Report 2006 an und löste eine Debatte über die prognostizierten wirtschaftlichen Folgen der globalen Erderwärmung aus. 2007 befürworteten dann die G8-Staaten in Potsdam die Entwicklung einer globalen Studie, um einmal den stetigen Naturwertverlust im wahrsten Sinne des Wortes wertzuschätzen. Die EU-Kommission und die Bundesregierung indessen unterstützten die Analyse, die schließlich das UN-Umweltprogramm UNEP in Auftrag gab: Mit der TEEB-Studie (The Economics of Ecosystems and Biodiversity), die sieben Jahre lief, wurde Neuland betreten. Was genau waren ihre Ziele? Welche Chancen und Risiken gibt es? Welche Rolle spielen Medien bei der Diskussion, und wie können Journalisten auf diese neue Prspektive aufmerksam machen? Zwei Experten, ein Journalist und ein Forscher, beantworten diese Fragen.
TEEB-Ziel: „Das Unsichtbare sichtbar machen“
Ganz grundlegend geht es in der TEEB-Studie um sogenannte Ökosystemdienstleistungen. Sie sind weitestgehend dadurch definiert, dass Menschen aus ökologischen Systemen wertvolle Vorteile beziehen. Diese Dienstleistungen erbringen Pflanzen, Tiere und auch Mikroorganismen; ein Beispiel sind Bienen und anderen Insekten, die Obstblüten bestäuben und so erst Ernten möglich machen. Arten machen Biodiversität oder auch biologische Vielfalt aus, die wiederum die Vielfalt innerhalb und zwischen Arten umfasst. Aber auch die Vielfalt der Ökosysteme fällt unter den Biodiversitätsbegriff, was gerne vergessen wird.
„Die Natur erbringt viele Leistungen, die auch ökonomisch wichtig sind“, erklärt Prof. Bernd Hansjürgens, Studienleiter der Naturkapital Deutschland TEEB.DE und Professor für Volkwirtschafslehre und Umweltökonomie an der Universität Halle-Wittenberg. Er sieht die Studie als einen „Prozess der Aufmerksamkeitsweckung und der Bewusstseinsbildung. Denn sie will dazu beitragen, ein verstärktes Bewusstsein für Umwelt und Naturbelange hervorzurufen“, sagt der Experte. Damit dies gelingen kann, sei der Ansatzpunkt ein „Dreisatzklang, um das Unsichtbare sichtbar zu machen“:Identifikation, Erfassung und Integration der Werte.
Gleichzeitig weist Hansjürgens daraufhin, dass die Methodik schwierig sei und weitergehende ökologische Zusammenhänge nicht immer einbezogen werden könnten. Beispielsweise ließe sich der Einfluss von Ökosystemen auf den Wasserkreislauf nicht in Werten ausdrücken. Es sei also nicht möglich, alles zu bewerten. Man liefere vielmehr Indikatoren. So einen Indikator könne man am Beispiel der Korallenriffe gut erklären. So hänge das Leben vieler Fische sehr stark von diesen ab. Durch den Klimawandel und den damit verbundenen Änderungen der Treibhauswerte fände ein Korallen- und Fischsterben statt. Die Aufmerksamkeit dorthin zu lenken, hält Hansjürgens für notwendig.
Chancen und Risiken der TEEB-Studie
In der TEEB-Studie sieht Hansjürgens die Chance, das Umweltbewusstsein zu verstärken und auf ökonomisch wertvolle Naturleistungen hinzuweisen. Nichtsdestotrotz sieht er auch ein Risiko darin, dass der „ökonomische Ansatz sehr verkürzt dargestellt und mit Monetarisierung gleichgesetzt wird“, also mit dem „Schaffen von Märkten und bepreisen von Naturleistungen vermischt wird“. Diese Darstellung sei gefährlich und diene nicht dem Naturschutz. „Man braucht keinen Markt dafür. Der Staat muss nur eingreifen und seine Instrumente einsetzen“, sagt Hansjürgens.
Auch Andreas Weber, Journalist, Naturphilosoph und Autor des Buches „ Biokapital: Die Versöhnung von Ökonomie, Natur und Menschlichkeit“, sieht große Chancen in Forschungsvorhaben wie der TEEB-Studie. Genauer darin, „dass wir erkennen könnten, dass herkömmliches Wirtschaften eigentlich unwirtschaftlich ist. Allerdings ginge das nur, wenn ein komplettes Bild gezeichnet wird“. Doch das geschehe laut Weber nicht; der Beitrag natürlicher Ökosystemdienstleistungen würde unterschlagen. Daher wäre es „absurd, Einzelspezies einzupreisen.“
Erfolge der Naturbepreisung
An bestimmten Arten lassen sich die Dienstleistungen der Natur gut veranschaulichen: Eine davonist der Biber. „Die Art, die sich in Deutschland wieder ausgebreitet hat, schafft große Feuchtgebiete. Diese haben eine ökologische Funktion und daher Gratis-Naturschutz-Charakter“, sagt Weber. „Durch den Biber sparen wir Naturschutzkosten. Der bringt richtig Geld.“ Diese Ökosystemleistung, die Auswilderung und ihre Folgen, könne man gut einpreisen. Gleichzeitig kritisiert Andreas Weber die für ihn „atomistische“ Bepreisung vieler Arten in der Literatur – kleine Summen, die mehr irritieren als Orientierung geben.
Für Bernd Hansjürgens ist die Abholzung der Mangroven-Wälder in Südostasien ein weiteres gutes Beispiel: „Die Autoren Edward B. Barbier und Suthawan Sathirathai haben in einer Studie gezeigt, dass die Garnelenzucht zwar auf kurze Sicht Gewinne abwirft, dass aber anschließend die Teiche, welche extra am Meer angelegt werden, jahrzehntelang kontaminiert sind“, berichtet der Ökonom. „Und vorher musste noch tropischer Regenwald abgeholzt werden.“Das zeigt, dass es ökonomisch nicht sinnvoll ist, Garnelen derartig zu züchten.“
Die Rolle der Medien
„Der Beitrag der Medien kann ein denkbar großer sein. Gerade wissenschaftliche Informationen haben es oft sehr schwer, weil sie hoch abstrakt sind“, sagt Hansjürgens. „Oder weil sie aus bestimmten Nischen kommen, für die sich niemand interessiert.“ Für sein Forschungsgebiet müsse es darum gehen, dass Medien „neu überlegen“ und ökonomische wie auch gesundheitliche Argumente verstärkt mit Ökosystemen und Arten in Verbindung bringen. „Über Naturschutz sprechen wir seit über 20 oder 30 Jahren, doch viele können das nicht mehr hören“, sagt Bernd Hansjürgens. „Wenn wir aber deutlich machen, wie der Zusammenhang mit unserem Wohlstand, unserer Gesundheit und unserem Wohlbefinden ist, dann hören manche Leute genauer hin.“ Medien komme bei diesem Perspektivwechsel eine „Schlüsselrolle“ zu.
Andreas Weber, der unter anderem für GEO arbeitet, ist sorgenvoller: „ Medien führen diesen Abwehrkampf, der dazu führt, keine riskanten Ideen mehr zu verbreiten. Daher spielen sie in der Rolle der vierten Macht eine klägliche Rolle.“ Auch von großen Medien ist der freie Journalist aus Berlin enttäuscht. Ihm fallen spontan nur GEO und vor allem die taz ein, welche über den Wert der Biodiversität regelmäßig schreiben Woran das liegt, weiß Weber längst: „Es mangelt an Mut!“ Einige der wenigen, die den Mut besitzen, sind in seinen Augen die Zeitschrift Oya und das Magazin Wald von Philipp Kohlhöfer.
Geschichten mit menschlicher Dramatik
Welche Ökosysteme sind besonders wertvoll, in der öffentliche Wahrnehmung aber womöglich unterschätzt? – eine wichtige Frage für Journaliste, die auf Themensuche sind. Bernd Hansjürgens spricht da von „den wahren Schätze der Natur“ und nennt das Beispiel der schützenswerten Moore: „Nasse Moore und Feuchtgebiete sind die wahren Kohlenstoffspeicher. Dagegen emittiert ein trocken gelegtes Moor jahrelang CO2-Emissionen“, erklärt der Experte. Die CO2-Emissionen, die Moore nur in Mecklenburg-Vorpommern emittieren, seien genauso so hoch wie die CO2-Emissionen des gesamten bundesdeutschen Straßenverkehrs.
Andreas Weber setzt auf gute Geschichten: „Es wäre gut sich auf Geschichten zu konzentrieren, die menschliche Dramatik haben. Entscheidend ist zu zeigen, wie sehr unser Befinden mit der Welt zusammenhängt.“ Im angelsächsischen Raum gebe es Nature Writing – eine Form zwischen Essay und Reportage.
„Es wäre vielleicht nicht schlecht, in diese Richtung weiterzudenken“, sagt der Naturphilosoph, der Journalisten in einer ethischen Verantwortung gegenüber der Natur sieht, auch bei der Themenwahl. Weber spricht sich für klarere Bekenntnisse aus: „In meinen Augen sollten sich viele in den Medien fragen, ob sie diese bestehende Form des Laissez-faire noch vor sich selbst vertreten können, wenn sie in den Spiegel schauen.“