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Konsumkritik als Medienthema – Beispiele aus der GEO-Redaktion

Von Hanne Tügel

Medien und Konsumkritik

Journalisten sollten ideale und natürliche Verbündete einer Bewegung sein, die sich um bewussten und nachhaltigen Konsum bemüht. Sie verstehen sich auf die Aufklärung und Vermittlung von Hintergrundwissen. Sie können gut mit Worten umgehen, sind näher am Publikum als Wissenschaftler und finden Ansätze, die originell sind. Ich will hier einerseits berichten, wie der GEO-Schwerpunkt „Einfach besser leben“ versucht hat, diese Rolle zu erfüllen. Vorher aber ein paar Gedanken, warum Journalismus, der sich mit nachhaltigem Konsum beschäftigt, trotzdem seine Wirkung verfehlen kann.

Widerspruch 1: Die journalistische Botschaft der Redaktion steht im Widerspruch zu der von Anzeigen und Werbespots

Außer in Blättern wie Greenpeace-Magazin und Taz sind Anzeigen für Publikums-Zeitungen und –Magazine eine tragende wirtschaftliche Säule. Redakteure sehen bis zum Erscheinen des Hefts nicht, wofür darin Reklame gemacht wird. Diese scharfe Trennung von Redaktion und Anzeigenteil ist prinzipiell gut. Trotzdem dürften Leser verwirrt sein, die mitten in konsumkritischen Artikeln, auf Anzeigen stoßen, die mit Nachhaltigkeit wenig zu tun haben. Beispiel aus meinem Magazin GEO (7/2013): vier Seiten Reklame für Samsonite Alu-Koffer, mit Bildern aus drei Kontinenten. Umfeld: das Heft mit dem Themenschwerpunkt „Einfach besser leben“. Leser (und TV-Zuschauer, die Werbespots anschauen), haben zwar Routinine darin, die unterschiedlichen Botschaften in Werbung und redaktionellem Text einzuordnen, doch Irritation bleibt.

Auch mit Nebenprodukten zu ihren Zeitungen und Zeitschriften machen Verlage Geschäfte, die den journalistischen Linien nicht unbedingt entsprechen. Die ZEIT hat ein eigenes Geschäftsmodell mit 8 Mitarbeitern im Tourismus-Sektor. ZEIT-Reisen, ganz unabhängig von der Redaktion, aber mit Beilagen und Eigenanzeigen im Heft vertreten, verdient Geld mit Luxus-Reisen ins Exotische. Zu den Zielen gehören Iran, Indien, Japan, und – auf Naturfreunde zielend – „Abenteuer Amazonas“, „Die Serengeti lebt“, „Wunderwelt Antarktis“. Unterschwellige Botschaft: Was dort empfohlen wird, kann doch nicht falsch sein?

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Hanne Tügel ist Beiratsmitglied bei Grüner-Journalismus und seit 1995 Redakteurin bei GEO; sie hat eine Vorliebe für Themen, die zwischen Wissenschaft und Gesellschaft angesiedelt sind – und in diesem Rahmen oft für Umwelt- und Nachhaltigkeitsfragen. (Foto: GEO)

Widerspruch 2: Von den Journalisten im Wirtschafts-, Auto- und Reiseteil wird gefeiert, was ihre Kollegen im Umwelt- und Wissenschaftsteil verdammen

Bei fast allen Wirtschaftsjournalisten gilt Wirtschaftswachstum nach wie vor als sakrosankt und unabdingbar nicht nur für wirtschaftliches, sondern auch gesellschaftliches Wohlergehen. Und die Motor- und Reisejournalisten empfehlen trotz Klimawandel unbeirrt Spritfresser-Autos und weite Flugreisen – auch weil Auto- und Tourismus-Indutrie sie oft großzügig einladen.

Ein Beispiel aus der Hamburger Morgenpost (1.11.2013), die kurz zuvor im medienüblichen Alarmton über den „schockierenden Klimabericht“ des IPCC berichtet hatte. Der Testbericht behandelt den Audi „RS Q3“ (CO2-Wert: 206 g/km). Überschrift: „Mit 310 PS über Stock und Stein“. Da ist vom „übermütigen Tritt aufs Gaspedal“ die Rede, den der Wagen in der Kurve „ohne Fisimatenten“ pariert.

Und von der „Extra-Ladung Testosteron“, die besonders im Rückspiegel zu Geltung kommt, weil der riesige Kühlergrill „wie ein offenes Maul“ aussieht. „Nur ein kurzer Blick bleibt einem gegönnt. Denn der RS Q3 beschleunigt Usain-Bolt-mäßig (5,5 Sekunden von 0 auf 100) und ist auf und davon.“ Auch solche Widersprüche nehmen Leser wahr. Und lernen: Man darf sich trotz Klimakatastrophe den Spaß nicht verderben lassen.

Widerspruch 3: Die Liga der Erfolgreichen lebt auf großem CO2-Fuß

Sportstars, Popstars, Filmstars jetten permanent um die Welt, fahren gern Sportwagen, wohnen in Luxusimmobilien, kaufen viel. Für die bewunderten Rollenmodelle scheinen die Energiespar-Richtlinien also nicht zu gelten, die Politiker und Umweltschützer den Normalbürgern nahelegen. Umso mehr, weil auch viele Politiker, Experten und Journalisten berufsbedingt zum Kreis der CO2-Verschwender gehören – besonders auffällig immer dann, wenn Zehntausende von ihnen zu Klimaverhandlungen mit unbefriedigendem Ausgang fliegen. Wer dabei ist, fühlt sich wichtig. Dieses Messen mit zweierlei Maß erzeugt beim Publikum Spott und Trotz.

Widerspruch 4: Journalistenrabatte reizen

Webseiten wie www.Pressekonditionen.de gehören zu den Lieblingslinks mancher Kollegen. Wer mit dem Presseausweis wedeln kann, bekommt zig Rabatte und Sonderpreise. Der halbe Preis fürs Fliegen oder die Bahncard zum halben Preis wurde nach der Wulff-Affäre abgeschafft, vieles andere gibt es weiterhin. Und selbstverständlich steigen auch Chefredakteure gern in PS-starke Dienstwagen.

Konsequenz: Wasser zu predigen und Wein zu trinken, ist kein guter Ausgangspunkt für Artikel, die Verschwendung anprangern. Die kritische Berichterstattung von Journalisten bleibt mitunter auch deshalb halbherzig, weil sie selbst Teil dieses Systems sind. Der heimliche Lehrplan für die Leser: So ernst können sie es ja nicht meinen.

Vorstellung des GEO-Schwerpunkts „Einfach besser leben“

Der Schwerpunkt „Einfach besser leben“ ist im Juliheft 2013 erschienen. Eine Schwierigkeit für Redaktionen mit hohem Abonnenten-Anteil besteht darin, sich nicht zu wiederholen. Zum Thema eines nachhaltigeren Lebens hatte GEO in den Jahren zuvor z.B. Titel wie „Der kluge Konsum“ und „Handeln nach dem Klimaschock“. Beim neuen Ansatz sollte es darum gehen, Fragen rund um Wachstums-Dogma und Konsumismus tiefer zu analysieren und praktische Ideen und Initiativen vorzustellen, die es schaffen, den Wachstumszwängen zu widerstehen und Alternativen erproben. Herausgekommen sind vier Teile.

Die Einleitung (Titel: „Es reicht“)

Dieser Teil stellt das Dilemma vor, in dem wir heute stehen. Jeder ahnt, dass es kein ewiges Wirtschaftswachstum geben kann, weil die Ökosysteme es nicht aushalten würden: Trotz aller Erkenntnisse gibt es bisher in der Weltwirtschaft und -Politik keinen „Plan B“. Die Sehnsucht nach „immer mehr“ ist auch für Verbraucher nach wie vor bestimmend, eine Art Religionsersatz in der Zeit verlorengegangener Werte.

Der Sozialpsychologe Harald Welzer sagt, Appelle an Umweltbewusstsein seien in dieser Situation nutz- und wirkungslos, weil sie nur die kognitive Ebene erreichen. Die Konzepte von Wachstum, Mobilität, Fortschritt seien dagegen „in unserem emotionalen Haushalt verankert“.

Nicht Reflexion wird danach aus der Sackgasse herausführen, sondern am ehesten gemeinschaftliche Begeisterung: die Lust daran, Wirklichkeit zu verändern, lokal, kleinteilig, experimentierfreudig.

Hoffnung könnte heute paradoxerweise daher rühren, dass nicht nur die Natur unter zunehmender Erschöpfung leidet. Auch die Menschen sind erschöpft; psychische Erkrankungen zeigen besonders rasante Wachstumszahlen. Selbstheilung ist nah, wenn Patienten das Hamsterrad verlassen und ältere Werte entdecken, die unbezahlbar sind: Zeit zu haben für sich und andere; sich gegenseitig zu helfen. Diese Werte wieder in den Vordergrund zu rücken, eröffnet Spielräume für Postwachstums-Visionen.

Als Vorbild kann Ludwig Erhard herhalten. Der Erfinder der sozialen Marktwirtschaft prophezeite im Jahr 1957, irgendwann werde „mit Sicherheit“ und „zu Recht“ die Frage gestellt werden, „ob es noch immer richtig und nützlich ist, mehr Güter, mehr materiellen Wohlstand zu erzeugen oder ob es nicht sinnvoller ist, unter Verzichtleistung auf diesen ‚Fortschritt’ mehr Freizeit, mehr Besinnung, mehr Muße und mehr Erholung zu gewinnen“.

Titelthema: „Die große Illusion

Es wird untersucht, warum wir auf dem Weg in eine nachhaltige Wirtschaft trotz enormer technischer Effizienz-Fortschritte nicht recht vorankommen. Rohstoff- und Energie-Effizienz wird von Umweltpolitikern als Patentrezept gegen Verschwendung und Königsweg in eine umweltschonende Gesellschaft gepriesen. Doch seltsamerweise wird Rohstoffersparnis auf der einen Seite durch Mehrverbrauch anderswo oft mehr als aufgezehrt. Dieser „Rebound-Effekt“ ist Haupt-Thema des Artikels. Daran anknüpfend geht es um die Dynamik des technischen Fortschritts.

Ausgangspunkt ist eine Geschichte aus dem Jahr 1969. Technikfans erzählen gern die Anekdote, dass die Rechenleistung des Bordcomputers der Mondlandefähre bei der Apollo-11-Mission etwa der eines Mikroprozessors in einer digitalen Armbanduhr ein paar Jahre später entsprach. Der Computer war 30 Kilogramm schwer; sein Arbeitsspeicher hatte eine Kapazität von rund vier Kilobyte.

Ein Meilenstein. Hätte so eine Höchstleistung nicht für die nächsten Jahrzehnte auch für irdische Anwendungen reichen sollen? Nein, sie spornte Erfindergeist erst an. Smartphones von heute werben mit einem Arbeitsspeicher von 1 Gigabyte. Sie trumpfen mit der Rechenleistung von 250000 Apollo-Fähren auf, wiegen weniger als 200 Gramm und das zum Preis eines halbwegs ordentlichen Fahrrads. Auf den Mond bringen sie ihre Besitzer noch nicht, aber sonst sind sie Meister der Vielseitigkeit – verwendbar als Mini-PC, -Zeitung, -Radio, -Fernsehgerät, -Kino oder -Spielhalle. Sie machen Musik, sie faxen und navigieren. Sie halten Kontakt zu Bekannten. Man kann mit ihnen an der Börse in Tokyo spekulieren, Opernkarten in Sydney buchen und Pizza bestellen. Sie ersetzen Uhr, Kamera, Diktiergerät oder Wetterstation und agieren notfalls auch als Taschenlampe.

Wenn jeder Smartphone-Besitzer diese Kapazitäten ausreizen würde, könnte man Abermillionen anderer Geräte außer Dienst stellen und unendlich viel Energie und Wege sparen. Keiner müsste eigentlich noch zur Bank, ins Restaurant, ins Kino, ins Konzert. Doch dass Weniger mehr sein könnte, ist im Fortschrittsdenken der Moderne nicht vorgesehen; es strebt nach ständiger Erweiterung des Warenuniversums. Der PC im Büro speist inzwischen zwei Bildschirme. Als Ergänzung dient der Laptop zu Hause, dazu kommen IPod, IPad, IPhone oder ihre Android-Geschwister. Der Branchenverband Bitkom schätzt, dass sich in deutschen Durchschnittshaushalten mehr als 50 Elektro- und Elektronikgeräte mit sieben Fernbedienungen drängeln. Und die Effizienzgewinne stacheln Erfinder an, nicht nur immer kleinere und spezialisiertere Apparate zu ersinnen, sondern auch ganz groß zu denken.

An Rechenzentren mit 120000 Servern. An Maschinen wie den Elektronenbeschleuniger LHC beim CERN, der pro Jahr 1,2 Milliarden Kilowattstunden Strom verbraucht, so viel wie 400000 Zwei-Personen-Haushalte. An Bühnenshows wie die der Band Rammstein, die auf Tourneen von Stadt zu Stadt in Trucks zwei eigene Kraftwerke mitfahren lässt, damit die 380000-Watt-Anlage genug Saft kriegt.

Was tun? Einen theoretischen Ausweg auf der Gesetzgebungsebene hat Tilman Santarius vom Wuppertal-Institut gewiesen: Er schlägt vor, Effizienzgewinne mit einer neuen Öko-Steuer abzuschöpfen und diese Mehreinnahmen zur Tilgung von Staatsschulden zu verwenden. Bis wir soweit sind, bleibt die Hoffnung auf individuellen Bewusstseinswandel.

Titelthema „Betr.: Jetzt oder nie“

Diese Analyse setzt auf dieser individuellen Ebene an und beschreibt einen Selbstversuch in Sachen Sparsamkeit: GEO-Autorin Anke Sparmann nimmt sich vor, drei Monate lang mit je 300 Euro auszukommen und korrespondiert über diesen Versuch per e-mail mit dem Nachhaltigkeits-Coach Fred Luks. Die Botschaft: Das Experiment hat Grenzen. Aber je mehr Menschen sich auf diesen Weg machen und auf Überflüssiges verzichten, desto größer der ökonomische und ökologische Einfluss.

Portraits von interessanten Initiativen in Bild und Wort

Die Portraits zeigen, wie vielfältig die Szene jener Menschen, Gruppen und Unternehmen ist, die heute schon andere Wege gehen. Sie sind in überregionalen Medien nicht häufig präsent, aber wer sich umschaut, wird auch in der eigenen Umgebung Beispiele finden. These: Wer Lust auf Gemeinsinn statt auf Konsum entwickelt, überlistet die mentalen Strukturen, die uns in der Wachstumsfalle halten. (Die umfassendsten Initiativen in dieser Richtung, die Transition-Towns, haben wir in diesem Heft nicht vorgestellt, weil es darüber schon einen eigenen Artikel in GEO gab). Die Beispiele mit Internet-Links:

These: Wer an etwas Wichtigeres als Besitz glaubt, ist gefeit vor Überkonsum. Der Engländer Tim Jackson, Professor für Nachhaltige Entwicklung an der Universität Surrey, Berater der britischen Regierung und Autor des Buchs „Wohlstand ohne Wachstum“, nennt den Lebensstil „alternativen Hedonismus“. Hier kommt auch die Rolle der Natur ins Spiel. Wer gern in Wald und Wiesen rumstromert und sich an Tieren, Bäumen, Blumen, Pilzen freut, erfährt mit Geist, Körper und allen Sinnen, was es zu bewahren gibt.

 

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