Interview: Tatjana Schönwiese
Herr Pistner, ist Atomkraft Ihrer Meinung nach wirklich „grün“ und klimafreundlich, wie es der Beschluss der EU-Kommission vom Februar glauben lässt?
Ich kann klar sagen: nein, ist sie nicht. Zentral ist dabei natürlich immer die Frage, was verstehe ich unter „grün“, und was verstehe ich unter „nachhaltig“? Für mich bedeutet der Nachhaltigkeitsgedanke vom Grundsatz her, dass ich etwas beliebig lange machen kann. Und das kann ich bei der Kernenergie theoretisch nicht. Man kann sich jetzt natürlich einigen und sagen, dass es für die nächsten Jahrzehnte vielleicht gehen wird. Aber ist das dann als nachhaltig zu verstehen? Dazu kommt, dass Kernenergie heute einfach zu teuer und zu kompliziert ist – und ein Ausbau zu lange brauchen würde.
Wie kam die EU-Kommission darauf, das Klima-Siegel für die Atomkraft zu vergeben?
Es gab eine Expertengruppe, die betrachtet hat, wie nachhaltig Atomkraft einzustufen ist. Diese sah sich damals allerdings nicht imstande, eine Entscheidung zu treffen. Daraufhin hat die EU-Kommission ihr „Joint Research Center“ damit beauftragt, ein Gutachten zu erstellen, um zu prüfen, ob die Kernenergie Nachhaltigkeitskriterien erfüllt. Dieses Gutachten kam zu dem Schluss, dass Kernenergie vergleichbar zu anderen Energietechnologien ist, die auch in der EU-Taxonomie für klimafreundliche Technologien enthalten sind. Somit wurde Atomkraft als „grün“ eingestuft.
Was ist das Problem dabei, dass die EU-Kommission dieses Siegel vergeben hat?
Wir haben das Gutachten des JRC analysiert und kommen zu dem Schluss, dass das Joint Research Center einen klar verengten Blick auf die Thematik hatte. Punkte, die zu einer umfassenden Nachhaltigkeitsbewegung dazu gehören, wurden in dieser Bewertung nicht berücksichtigt bzw. nicht mit einbezogen. Die drei Punkte, die ich da im Wesentlichen sehen würde, sind zum einen das Problem schwerer Unfälle, das beispielsweise nur sehr kursorisch behandelt und ausschließlich auf die theoretische Zahl der Todesfälle in Zusammenhang mit einem schweren Unfall reduziert wurde. Dazu kommt die Gefahr einer Weiterverbreitung von Atomwaffen, die auch im Zusammenhang mit der zivilen Nutzung der Atomenergie steht. Und es gibt das Problem der hochradioaktiven Abfälle.
Ein Argument der EU-Kommission, das für die „grüne“ Atomkraft sprechen soll, sind die CO2-Emissionen. Sie seien verhältnismäßig geringer als beispielsweise bei Kohle und Gas. Ist das ein gutes Argument für die Kernenergie?
Die EU-Taxonomie sagt: Damit wir eine Technologie als nachhaltig einstufen, muss sie einen positiven Beitrag zum Klimaschutz leisten. Es ist unstrittig, dass Kernkraft eine Technologie ist, bei der wenig CO2 freigesetzt wird. Aber das ist für mich nicht der entscheidende Punkt. Eine Technologie muss auch das sogenannte „Do No Significant Harm“-Kriterium erfüllen. Das bedeutet, dass diese Technologie nicht gleichzeitig in einem der anderen Umweltbereiche, wie Schutz von Leben und Biodiversität, zu Schäden führen darf. Und wenn ich mir die Konsequenzen der Atomkraft anschaue, dann werden davon andere Umweltziele mit Potential für signifikanten Schaden tangiert.
Stichwort Russland. Auch hierzulande wurden Stimmen laut, die ein sofortiges Energieembargo gegen Russland gefordert haben. Muss jetzt darüber nachgedacht werden, die verbleibenden Atomkraftwerke doch etwas länger am Netz zu lassen?
Hier wird es letzten Endes um eine Abwägung unterschiedlicher Nutzen, Chancen und Risiken gehen. Mit einer Laufzeitverlängerung von Atomkraftwerken gehen eine Reihe von technischen, juristischen und ökonomischen Fragestellungen einher. Wie lange reicht der vorhandene Brennstoff und wie schnell könnte Ersatz beschafft werden? Ist noch ausreichend qualifiziertes Personal für den Weiterbetrieb der Anlagen vorhanden? Wer trägt die Risiken bzw. übernimmt die Kosten, wenn es zu Stör- oder Unfällen in den Atomkraftwerken kommen würde? Alle diese Fragen müssten beantwortet werden. Und dem wäre dann ein möglicher Nutzen durch den befristeten Weiterbetrieb gegenüber zu stellen.
Wie sinnvoll wäre ein Laufzeitverlängerung der Atomkraftwerke in Anbetracht der Ukraine-Krise?
Das Hauptproblem bei einem Energieembargo gegen oder von Russland ist aktuell eher die Gasversorgung. Denn von ihr können wir uns technisch nicht so schnell unabhängig machen. Kerntechnik kann Gas nicht einfach substituieren. Wir können russisches Gas also nur sehr begrenzt ersetzen, indem wir die Kernkraftwerke länger laufen lassen. Wenn man sich den Strommarkt und die Energieversorgung ansieht, ist der Nutzen der Kernenergie und einer Laufzeitverlängerung also relativ begrenzt.
Welche Risiken könnten bei einer möglichen Laufzeitverlängerung bestehen?
Ein erstes großes Problem, das ich sehe, ist der politische Streit um die Nutzung der Kernenergie. Diesen hatten wir eigentlich beigelegt durch die Entscheidung, alle Kernkraftwerke bis Ende 2022 vom Netz zu nehmen. Wir werden aber auch ganz praktische Probleme haben: Wir brauchen qualifiziertes Personal und Brennstoff für den Weiterbetrieb der Kernkraftwerke. Diese Brennstoffe müssen bestellt werden und haben eine Lieferzeit von 15 bis 18 Monaten.
Wie lange wäre es uns möglich die Kernkraftwerke über den Abschalttermin hinaus weiter zu betreiben?
Rein faktisch können wir einzelne Kraftwerke mit dem Brennstoff, der vorhanden ist, vielleicht noch ein bis drei Monate über den Abschalttermin hinaus betreiben. Danach müssen Sie in jedem Fall ausgeschaltet werden, mindestens bis frischer Brennstoff geliefert werden kann. Dann könnte man die Kraftwerke, wenn neuer Brennstoff bestellt wurde, wieder in Betrieb nehmen. Aber eine Übergangsphase gäbe es, in der diese nicht zur Verfügung stehen. Wenn wir wirklich eine Laufzeitverlängerung anstreben würden, wäre dies sicherlich nicht unmöglich. Aber es wäre auch mit einem erheblichen Kosten- und Logistikaufwand verbunden.
Was muss passieren, damit wir beim Ausbau der erneuerbaren Energien schneller vorankommen?
Kurzfristig nötig ist ein massiver Ausbau der Erzeugungskapazitäten. Photovoltaik und Windenergie sind relativ kostengünstig. Wir müssen Standorte bestimmen und Genehmigungsverfahren durchführen. Dabei müssen wir natürlich Naturschutzbelange mitberücksichtigen. Das größte offene Problem ist die technische Frage: Wie kann eine Langzeitspeicherung funktionieren? Dabei wird gern die Dunkelflaute zitiert, also ein Zeitraum von typischerweise einigen Tagen im Jahr, bei denen praktisch kein Wind weht und die Sonne nicht scheint. Hierfür braucht es Speichermöglichkeiten.
Schaffen wir das alles bis zur geplanten Energiewende im Jahr 2045?
Das ist die Unsicherheit – sind wir schnell genug oder nicht? Es geht jetzt darum, politische Rahmenbedingungen so zu setzen, dass nachhaltige Technologien zur Marktreife gebracht werden. Das ist ein Effekt, den wir beispielsweise mit dem Erneuerbaren-Energien-Gesetz (EEG) gesehen haben. Photovoltaik war lange zu teuer, dann wurden Rahmenbedingungen geschaffen, damit Photovoltaikanlagen am Markt existieren konnten. Und dadurch sind eben auch Produktionskapazitäten geschaffen worden. Und wir haben über die letzten zehn Jahre eine Kostendegression von rund 90 Prozent gesehen. Wenn man also diese politischen Bedingungen schafft, dann erwarten wir ähnliche Effekt. Auch in dem Bereich der Speicher.
Blicken wir noch einmal in die Zukunft: Es ist Ende 2022 und die Atomkraftwerke sind vom Netz gegangen. Wie geht es jetzt mit der Energieversorgung in Deutschland weiter?
Hierbei hängt es davon ab, welches Szenario wir jetzt malen. Wird uns der Gashahn in Zukunft von Russland vollständig abgedreht oder nicht? Es muss auch immer bedacht werden, dass die Probleme bei der Energieversorgung nicht nur im Strombereich liegen, sondern eben auch bei der Gasversorgung. Im Strombereich wird es auf absehbare Zeit so sein, dass wir einen massiven Ausbau der Erneuerbaren brauchen. Außerdem müssen wir noch eine Zeit lang auf Kohle und je nachdem wie viel davon zur Verfügung steht, auch Gas setzen. Diese Kraftwerke brauchen wir für die Übergangszeit, um die schwankende Einspeisung der erneuerbaren Energien zu ergänzen – solange bis die Anteile der Erneuerbaren ausreichend hoch sind und wir einen Langzeitspeichereffekt haben.
Also müssen wir vorerst noch auf Kohle und Gas zurückgreifen, bis die erneuerbaren Energien ausreichend ausgebaut wurden?
Ja, definitiv. Für mich ist die Idee dahinter ganz grob skizziert so zu verstehen: Das grundsätzliche Konzept ist, dass wir eine ausreichende Anzahl an Kohle- und Gaskraftwerken haben. Diese müssen in Zukunft in Zeiten, in denen wir zu wenig Kapazitäten bei den Erneuerbaren haben, einspringen und die Lücke füllen. Damit unsere CO2-Bilanz dadurch nicht zu ungünstig beeinflusst wird, müssen wir die Erneuerbaren so schnell wie möglich ausbauen, um dies dann zu kompensieren. Anders wird es meiner Meinung nach nicht funktionieren.
Die EU-Taxonomie sagt: Damit wir eine Technologie als nachhaltig einstufen, muss sie einen positiven Beitrag zum Klimaschutz leisten. Es ist unstrittig, dass Kernkraft eine Technologie ist, bei der wenig CO2 freigesetzt wird. Aber das ist für mich nicht der entscheidende Punkt. Eine Technologie muss auch das sogenannte „Do No Significant Harm“-Kriterium erfüllen. Das bedeutet, dass diese Technologie nicht gleichzeitig in einem der anderen Umweltbereiche, wie Schutz von Leben und Biodiversität, zu Schäden führen darf. Und wenn ich mir die Konsequenzen der Atomkraft anschaue, dann werden davon andere Umweltziele mit Potential für signifikanten Schaden tangiert.
Stichwort Russland. Auch hierzulande wurden Stimmen laut, die ein sofortiges Energieembargo gegen Russland gefordert haben. Muss jetzt darüber nachgedacht werden, die verbleibenden Atomkraftwerke doch etwas länger am Netz zu lassen?
Hier wird es letzten Endes um eine Abwägung unterschiedlicher Nutzen, Chancen und Risiken gehen. Mit einer Laufzeitverlängerung von Atomkraftwerken gehen eine Reihe von technischen, juristischen und ökonomischen Fragestellungen einher. Wie lange reicht der vorhandene Brennstoff und wie schnell könnte Ersatz beschafft werden? Ist noch ausreichend qualifiziertes Personal für den Weiterbetrieb der Anlagen vorhanden? Wer trägt die Risiken bzw. übernimmt die Kosten, wenn es zu Stör- oder Unfällen in den Atomkraftwerken kommen würde? Alle diese Fragen müssten beantwortet werden. Und dem wäre dann ein möglicher Nutzen durch den befristeten Weiterbetrieb gegenüber zu stellen.
Wie sinnvoll wäre ein Laufzeitverlängerung der Atomkraftwerke in Anbetracht der Ukraine-Krise?
Das Hauptproblem bei einem Energieembargo gegen oder von Russland ist aktuell eher die Gasversorgung. Denn von ihr können wir uns technisch nicht so schnell unabhängig machen. Kerntechnik kann Gas nicht einfach substituieren. Wir können russisches Gas also nur sehr begrenzt ersetzen, indem wir die Kernkraftwerke länger laufen lassen. Wenn man sich den Strommarkt und die Energieversorgung ansieht, ist der Nutzen der Kernenergie und einer Laufzeitverlängerung also relativ begrenzt.
Welche Risiken könnten bei einer möglichen Laufzeitverlängerung bestehen?
Ein erstes großes Problem, das ich sehe, ist der politische Streit um die Nutzung der Kernenergie. Diesen hatten wir eigentlich beigelegt durch die Entscheidung, alle Kernkraftwerke bis Ende 2022 vom Netz zu nehmen. Wir werden aber auch ganz praktische Probleme haben: Wir brauchen qualifiziertes Personal und Brennstoff für den Weiterbetrieb der Kernkraftwerke. Diese Brennstoffe müssen bestellt werden und haben eine Lieferzeit von 15 bis 18 Monaten.
Wie lange wäre es uns möglich die Kernkraftwerke über den Abschalttermin hinaus weiter zu betreiben?
Rein faktisch können wir einzelne Kraftwerke mit dem Brennstoff, der vorhanden ist, vielleicht noch ein bis drei Monate über den Abschalttermin hinaus betreiben. Danach müssen Sie in jedem Fall ausgeschaltet werden, mindestens bis frischer Brennstoff geliefert werden kann. Dann könnte man die Kraftwerke, wenn neuer Brennstoff bestellt wurde, wieder in Betrieb nehmen. Aber eine Übergangsphase gäbe es, in der diese nicht zur Verfügung stehen. Wenn wir wirklich eine Laufzeitverlängerung anstreben würden, wäre dies sicherlich nicht unmöglich. Aber es wäre auch mit einem erheblichen Kosten- und Logistikaufwand verbunden.
Was muss passieren, damit wir beim Ausbau der erneuerbaren Energien schneller vorankommen?
Kurzfristig nötig ist ein massiver Ausbau der Erzeugungskapazitäten. Photovoltaik und Windenergie sind relativ kostengünstig. Wir müssen Standorte bestimmen und Genehmigungsverfahren durchführen. Dabei müssen wir natürlich Naturschutzbelange mitberücksichtigen. Das größte offene Problem ist die technische Frage: Wie kann eine Langzeitspeicherung funktionieren? Dabei wird gern die Dunkelflaute zitiert, also ein Zeitraum von typischerweise einigen Tagen im Jahr, bei denen praktisch kein Wind weht und die Sonne nicht scheint. Hierfür braucht es Speichermöglichkeiten.
Schaffen wir das alles bis zur geplanten Energiewende im Jahr 2045?
Das ist die Unsicherheit – sind wir schnell genug oder nicht? Es geht jetzt darum, politische Rahmenbedingungen so zu setzen, dass nachhaltige Technologien zur Marktreife gebracht werden. Das ist ein Effekt, den wir beispielsweise mit dem Erneuerbaren-Energien-Gesetz (EEG) gesehen haben. Photovoltaik war lange zu teuer, dann wurden Rahmenbedingungen geschaffen, damit Photovoltaikanlagen am Markt existieren konnten. Und dadurch sind eben auch Produktionskapazitäten geschaffen worden. Und wir haben über die letzten zehn Jahre eine Kostendegression von rund 90 Prozent gesehen. Wenn man also diese politischen Bedingungen schafft, dann erwarten wir ähnliche Effekt. Auch in dem Bereich der Speicher.
Blicken wir noch einmal in die Zukunft: Es ist Ende 2022 und die Atomkraftwerke sind vom Netz gegangen. Wie geht es jetzt mit der Energieversorgung in Deutschland weiter?
Hierbei hängt es davon ab, welches Szenario wir jetzt malen. Wird uns der Gashahn in Zukunft von Russland vollständig abgedreht oder nicht? Es muss auch immer bedacht werden, dass die Probleme bei der Energieversorgung nicht nur im Strombereich liegen, sondern eben auch bei der Gasversorgung. Im Strombereich wird es auf absehbare Zeit so sein, dass wir einen massiven Ausbau der Erneuerbaren brauchen. Außerdem müssen wir noch eine Zeit lang auf Kohle und je nachdem wie viel davon zur Verfügung steht, auch Gas setzen. Diese Kraftwerke brauchen wir für die Übergangszeit, um die schwankende Einspeisung der erneuerbaren Energien zu ergänzen – solange bis die Anteile der Erneuerbaren ausreichend hoch sind und wir einen Langzeitspeichereffekt haben.
Also müssen wir vorerst noch auf Kohle und Gas zurückgreifen, bis die erneuerbaren Energien ausreichend ausgebaut wurden?
Ja, definitiv. Für mich ist die Idee dahinter ganz grob skizziert so zu verstehen: Das grundsätzliche Konzept ist, dass wir eine ausreichende Anzahl an Kohle- und Gaskraftwerken haben. Diese müssen in Zukunft in Zeiten, in denen wir zu wenig Kapazitäten bei den Erneuerbaren haben, einspringen und die Lücke füllen. Damit unsere CO2-Bilanz dadurch nicht zu ungünstig beeinflusst wird, müssen wir die Erneuerbaren so schnell wie möglich ausbauen, um dies dann zu kompensieren. Anders wird es meiner Meinung nach nicht funktionieren.