VON SUSANNE BERGIUS – Biodiversität ist fundamental für die Finanzwirtschaft. Das legte im Januar 2020 der Weltrisikobericht des Weltwirtschaftsforums dar. Er zählt das Artensterben und der Zusammenbruch von Ökosystemen zu den fünf größten Risiken für die Weltwirtschaft. Doch an so manchen Finanz- und Wirtschaftsredaktionen ging das spurlos vorbei. Und wenn, dann stand der Klimawandel vornan. Oft wurde nicht einmal der entscheidende Satz zitiert: „Der Artenschwund bedroht inzwischen die Fundamente unserer Ökonomie“.
Anders ist das bei Gefährdungen, die unmittelbar für Menschen spürbar sind, vor allem für die in Industrieländern. Drastisch erleben wir das jetzt bei der Corona-Pandemie: Die Börsen brechen ein, Regierungen verhängen Ausgehverbote und schnüren milliardenschwere Förderpakete. Solche Ereignisse mit direkt spürbaren Folgen in den Wertschöpfungsketten heizen Aktienmärkte an oder verpassen ihnen starke Dämpfer. Der Artenschwund tut das nicht. Weil er schleichend passiert und die konkreten Folgen nicht direkt sichtbar oder für alle spürbar sind, selbst wenn sie in einigen Regionen für die dort lebenden Menschen schon dramatisch sind.
Weil der Verlust an biologischer Vielfalt dem Laien kaum auffällt und er die Relevanz nicht einschätzen kann, ignorieren nicht nur vor allem ökonomische Medien und Ressort das Thema, sondern insbesondere die Wirtschafts- und Finanzwelt. So hat die Industrieländerorganisation OECD Anfang März 2020 das Coronavirus als „größtes Wirtschaftsrisiko seit der Finanzkrise“ eingestuft und in seinem Konjunkturausblick das Artensterben nicht einmal genannt – wohlgemerkt nur wenige Wochen nachdem der Weltrisikobericht den Artenschwund und den Ökosystemkollaps als größte Risiken für die Weltwirtschaft neben dem Klimawandel benannte!
„Der Verlust der Biodiversität ist ein unerkanntes Umweltrisiko“, kritisierten die Unternehmensberatung PWC und die Umweltorganisation WWF Anfang 2020 in der gemeinsamen Studie „Nature is too big to fail.“ Die Autoren warnen: „Da der Klimawandel und der Verlust der biologischen Vielfalt sich gegenseitig verstärken, stehen Entscheidungsträger vor einer riesigen Herausforderung, auf diese doppelte Krise zu reagieren, weil das Risiko einer Finanzmarktinstabilität signifikant steigt.“
Unterdessen handelt die Politik zu Corona in nie dagewesenem Tempo und Umfang. Würde sie nur einen Bruchteil dieser Konsequenz auf den Klima- und den Artenschutz anwenden, statt sich jahrelang vor wesentlichen Entscheidungen zu drücken, wären die Aussichten für diesen Planeten und die Menschheit wesentlich besser.
Die Pandemie wird vorbei gehen – Klimawandel und Artenverlust nicht
Es ist folglich dringend, dass sich Finanz- und Wirtschaftsredaktionen damit befassen, was Unternehmen und ihre Geldgeber tun bzw. was sie tun könnten, um die ökologischen Risiken für sich und für die Gesellschaft in Schach zu halten. Gefordert sind sowohl Aufdeckung zu Untätigen als auch Aufklärung zu innovativen und wirksamen Wegen und Kooperationen. Es ist unser Job, derart Diskussionen und Meinungsbildung anzustoßen.
Verständlicherweise dominiert momentan die Corona-Krise das Denken und Handeln. Aber: Die Pandemie wird vorbei gehen, die Extremrisiken für unsere Lebensgrundlage jedoch nicht, falls nicht genauso stringent in Politik und Wirtschaft entschieden wird! Dass dort aktuell die ökologischen Herausforderungen unter den Tisch fallen, ausgerechnet im Jahr der Biodiversität, kann ein weiteres Desaster unvorstellbaren Ausmaßes zu Folge haben.
Die Entschleunigung, zu der uns Corona jetzt zwingt, liefert auch Zeit, um Derartiges zu durchdenken. Zeit, um Dinge neu zu denken, Strategien und Konzepte anders auszurichten sowie Lösungen für Zielkonflikte digital zu diskutieren und zu entwickeln. Dies ist eine Chance, um sich und uns für die Zukunft besser zu wappnen. Hilfreich wäre, wenn gerade die Ressorts, die Entscheidungsträger lesen, jetzt zur Information und Entscheidungsfindung beitrügen.