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Wie Katharina den Wald verlor

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Ihre getuschten Rehaugen glänzen in der Sonne, sie kneift sie leicht zusammen und versucht sich an bestimmte Situationen von früher zu erinnern. Die Fingernägel sind in einem leichten Rosé lackiert, was ihre Haut noch brauner wirken lässt. Sie hält sich vorsichtig an einem dünnen Baumstamm fest. Ihre Uhr spiegelt das Sonnenlicht aus den Baumkronen wieder.

Sie wirkt leicht genervt, während sie sich in alle Richtungen umschaut, in der Hoffnung die Erinnerungen würden schneller zum Vorschein kommen, wenn sie einen Baum nach dem anderen inspiziert, die Trampelpfade und Büsche genau anschaut. Sie stöhnt leicht auf und kratzt sich an ihrem Bein. Sie rückt ihr weißes Minikleid zurecht und dreht sich im Kreis. Ihre langen blondierten Haare fallen über die Schultern, worauf sie sie nach oben wirft, von wo sie sanft auf dem Rücken landen. Auf ihrem Nacken haben sich kleine Schweißperlen gebildet, die in der Sonne glänzen. 

Nicht weiter, nur bis zum Waldrand

Katharina erzählt wenig von ihrer ländlichen Heimat. Sie erzählt von ihrer Familie, den Pferden – aber nicht von der Natur. Sie erzählt generell wenig über Natur. Ich habe sie gefragt, ob sie bereit wäre, für ein Projekt mit mir in ihr Heimatdorf zu fahren und im Wald spazieren zu gehen. Sie hat sofort ja gesagt, hat sich gefreut, dass ich ihr Haus sehe, den Pferdehof, ihre Familie, ihren Hund.

Als wir loslaufen, Richtung Wald, erzählt sie, wie schön sie es am Waldrand findet. Mit den kleinen Felsen, die aus der Erde ragen und der schönen Aussicht. Katharina wohnte in Butzbach, am nördlichsten Übergang des Taunus zur Wetterau. Wenn sie heute ihre Familie besucht und mit dem Hund spazieren geht, geht sie nicht weiter als bis zu den Felsen am Waldrand. Hier ist sie gerne – tiefer in den Wald geht sie nicht mehr. 

Katharina ist Anfang 20, lebt in Darmstadt und studiert Onlinekommunikation. Sie liebt die Stadt und ist gerne unter Menschen. Sie verbirgt ihren strukturierten Alltag zwischen grauem Beton – sie studiert an der Hochschule und arbeitet nebenbei bei einem IT-Unternehmen. „Ich lebe gerne in der Stadt, ich fühle mich dort wohl und bin mitten unter Menschen. Wenn ich heutzutage sage, ich gehe raus in die Natur, meine ich nicht den Wald.“

Den Himmel sehen, nicht die Bäume

Katharina braucht das Weite. Sie will eine Aussicht, die sie genießen kann, sie will sich nicht durch Bäume abgeschirmt fühlen, sondern den Himmel sehen. Im Wald fühlt sie sich nicht richtig draußen, sie ist der Meinung, dass es an dem Charakter einer Person liegt, ob man den Wald mag oder nicht. „Ich möchte mich lieber ablenken, anstatt mich zu intensiv mit meinen Angelegenheiten auseinanderzusetzen. Im Wald ist es ruhig und geschlossen, dass ich keine andere Wahl habe“, sagt sie. Wald, das sei etwas für introvertierte Leute. „Ich bin extrovertiert. Vielleicht hört es sich egoistisch an, aber wenn ich andere Leute in der Stadt streiten sehe, dann wird mir bewusst, dass ich nicht der einzige Mensch mit Problem bin, dann fühle ich mich besser. Der Wald ist einfach nichts für mich“.

Katharina braucht die Stadt, die Gebäude, ein Zimmer als Rückzugsort. Sie braucht die Menschen um sich herum, die Stimmung und die Nähe. „Morgens mit dem Bus zur Uni, danach direkt in die Firma und abends gehe ich ins Gym.“ Katharina pendelt von einem Ort zum anderen, von einem Gebäude in das nächste. Sie joggt gerne oder liest ein Buch im Park. Urlaub ist für sie Städtereisen, Länder mit schönen Landschaften, schöne Aussichten und viel Sonne. Sie ist zufrieden, wenn sie nach einem langen Arbeitstag nach Hause kommt.

Sie mag ihre Wohnung, ihr Zimmer. Sie vermisst nichts. Ihr zuhause ist mitten in der Stadt. Ihre Haustür ein schweres Tor. Ihr Innenhof ist zugestellt mit Mülltonnen und Fahrrädern. Nur wenige Bäumen stehen auf dem kleinen grünen Rasen. Häuser ragen von allen Seiten um den Hof herum. Sie dreht sich um, schaut auf die kleine Mauer neben ihr, schaut in Richtung des blauen Himmels: „Ich mag den kleinen Hof.“

 

„Mich juckt und zwickt es, und es krabbelt überall.“

Es ist ein heißer Sommertag im April, Katharina und ich laufen durch den Wald in dem sie ihre Kindheit verbachte. Ich habe sie gebeten, mich herumzuführen und von früher zu erzählen. Sie trägt rosafarbene Birkenstocksandalen, die sich immerzu mit Dreck und Laub füllen. Alle paar Meter bleibt sie stehen, hält sich an einem Baum fest und leert sie aus. „Mich juckt und zwickt es, und es krabbelt überall“, sagt sie, als sie ihre Sandalen anzieht und sich in einem Zug an den Beinen und an den Armen juckt.

Sie schüttelt sich leicht und stöhnt noch einmal auf, bevor sie weitergeht. „Früher gab es hier Trampelpfade, jetzt ist hier alles bewachsen und überall sind Brennnesseln“, erklärt Katharina, als sie einen Weg durch das Dickicht sucht. Sie hat den Wald früher sehr gemocht, erzählt Geschichten von der Todesschlucht und den Bärenhöhlen. „Damals waren wir noch naiv und hatten keine Angst, jetzt habe ich Respekt vor dem Wald und würde niemals alleine hier spazieren gehen. Hier findet mich niemand so schnell wieder“. Sie hebt ein Bein nach dem anderen, meidet umgefallene Äste und zu hohe Sträucher. Sie läuft wie ein Storch durch den Wald, lässt ihn kaum auf sich wirken. Früher ist sie auf den Baumstämmen balanciert, heute macht sie einen großen Schritt darüber.

Minikleid im Heimatwald

Ihre Eltern mussten sie stundenlang im Wald suchen, damit sie zum Abendessen nach Hause kommt. Sie hat Schlammkuchen gebacken, Insekten gesammelt und Fantasiegeschichten nachgespielt. Sie hat mit ihren Freunden Höhlen gebaut, sich im Laub verbuddelt. Heute trägt sie Minikleid und manikürte Fingernägel für einen Besuch in ihrem Heimatwald. 

Katharina kratzt sich erneut an ihrem Bein, leert ihre Birkenstocks aus und setzt ihren Fjällräven Kanken-Rucksack ab. „Ich glaube, ich brauche andere Menschen um mich herum, um zu begreifen, dass es mir gut geht. In der Natur und vor allen Dingen im Wald bin ich alleine und meine Gedanken und Probleme fressen mich auf. Wer hat schon Bock auf so was?“ Sie schaut sich um, wedelt mit den Händen in der Luft. „Mich nervt der ganze Dreck, die Spinnweben und die kleinen Tiere. Wenn ich nachdenken will, habe ich keine Lust mir Fliegen aus der Nase zu fummeln“.

Sie rümpft ihre Nase und verzieht das Gesicht. „Ich würde niemals im Wald meine Schuhe ausziehen. Am Strand ziehe ich sofort meine Schuhe aus und kann mich wohl fühlen.“ Sie schwingt ihren Rucksack über die Schulter und führt mich Richtung Waldrand. Der Spaziergang durch den Wald ist zu Ende. Sie schlägt vor das Gespräch auf einer Bank bei den Felsen weiterzuführen – mit Aussicht auf den Wald. 

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