Martin Meister (GEO): „Die Leitmedien sind mit Blindheit geschlagen“

Martin Meister (Quelle: Meister / Isadora Tast)
Martin Meister (Quelle: Meister / Isadora Tast)
Martin Meister ist Chefredekteur von GEO International. Zuvor war er Geschäftsführender Redakteur (Wissenschaft) bei der deutschen Ausgabe (Quelle: Meister / Isadora Tast)

Die Deutsche Wildtierstiftung vergab bis 2011 den Deutschen Preis für Naturjournalismus. Wer hat ihn zuletzt erhalten?

Das war 2011 Florian Festl, ein junger Kollege von Focus Online, der dort im Newsroom arbeitet und am Wochenende die Leidenschaft hat, Reportagen zu schreiben. Uns in der Jury hat es gefallen, dass er neben seinem Nachrichtendeutsch noch einen ganz anderen, eigenen Tonfall hat – was er mit einer schönen, ausgeruhten Reportage über Libellen unter Beweis gestellt hat, die im Magazin „natur + kosmos“ (seit Januar 2012 umbenannt in „natur“) erschienen ist. Festl hat es verstanden, dem Leser die Leidenschaft des Protagonisten, eines Libellenforschers, näher zu bringen. Aber zugleich auch seriös und interessant über die Arten zu informieren.

Was war das Besondere an dem Text?

Jeder Wissenschafts- und Naturautor muss die Balance zwischen Personendarstellung und Themenerklärung finden. Das hat Festl sehr gut geschafft. Es gibt ja einen leisen Trend dahin, die Forscher mit ihrem Leben in den Vordergrund zu stellen und die komplexen Sachzusammenhänge dabei auszulassen. Gerade bei Magazinjournalisten und Autoren, die auf Preise zuschreiben, gilt es als Tugend, stark zu personalisieren. Das ist für mich nur die zweitbeste Lösung, mein Ideal bleibt es, dass man auch über die Sache selbst bestens informiert wird. Das heißt tiefgehend und wissenschaftsjournalistisch.

Personalisierung verkommt zur Schwäche?

Ja, ich sehe das im Wissenschaftsjournalismus als Schwäche. Zwar ist es schwierig, eine Person feinfühlig und gut zu schildern. Aber man findet mehr Autoren, die das können als Autoren, die das noch Schwierigere beherrschen: komplizierte Stoffe aufzuwickeln, systematisch sowie gut nach- vollziehbar, mit tollen Bildern und Gleichnissen. Gerade bei Biologen und Feldforschern erliegen viele Autoren der Versuchung, diese als Käuze und Sonderlinge zu beschreiben und zu belächeln.

Was noch macht eine gute Berichterstattung über die Natur aus?

Man muss die richtige Mischung finden, ernst und gleichzeitig leicht berichten. Gerade bei Naturthemen und vor allem bei Tieren gibt es den Reflex, putzig zu schreiben und die Tiere spaßig zu sehen. Das wird der Haltung, mit der viele Leser und Leserinnen Tieren draußen begegnen, nicht gerecht. Das hat oft mit der Ferne zu tun, die speziell Journalisten zur belebten Natur haben. Sie können sich oft gut mit Kultur- und Stadtthemen anfreunden, sind selten Wald- und Wiesenläufer. Es gibt aber sehr viele Menschen, die Printmedien lesen und sich ernsthaft und empathisch für Tiere interessieren. Vielen meiner Kollegen ist das unheimlich: Darum wenden sie sich, wenn es schon Natur sein muss, lieber abstrakteren Begriffswelten zu und schreiben von „Biodiversität“ und Zahlen und ökologischen Theorien. Da kommen sie dann natürlich ohne den putzigen Tonfall aus.

Wo findet man anspruchsvollen Naturjournalismus?

Ich kenne wenige Redaktionen, die sich das noch ernsthaft vornehmen. GEO bildet da eine seltene Ausnahme. Auch das Magazin „natur“ bleibt am Thema. Bei den anderen Überregionalen hängt es oft an einzelnen Personen. Bei der Zeit etwa ist es Hans Schuh, der die Themen im Wissensressort einbringt. Selbst bei Programmzeitschriften wie der Hörzu gibt es Personen, die das immer wieder machen. Mir fällt noch die Frankfurter Rundschau als löbliche Ausnahme ein. Auch bei der Süddeutschen Zeitung wird in der Wissenschaft zu Tieren und Pflanzen berichtet, aber eher abstrakt und wenig publikumsnah. Dann gibt es noch die FAS, die gelegentlich etwas bringt. Der Spiegel dagegen reduziert Naturjournalismus auf ein Mindestmaß.

Und im Ausland?

In England gibt es eine große Tradition des nature writing. Führend seit Jahrzehnten ist das Magazin BBC Wildlife, das zur Natural History Unit der BBC gehört. Sie macht etwas, das in Deutschland nicht existiert: ein Monatsblatt, das sich in Großbritannien draußen umschaut – und die Leute, die oft draußen sind, dabei in ihrer Stimmung unterstützt. Es geht aber auch um internationale Entwicklungen rund um Tiere, Pflanzen und Ökosysteme. Das finde ich eine sehr gute Sache.

Welche Natur- und Umweltthemen werden vergessen?

Völlig unterbelichtet: der Flächenverbrauch in Deutschland, der viele Arten in Mitleidenschaft zieht. Niemand setzt sich da ran und verfolgt das Thema. Verloren gegangen ist auch die Biodiversitäts-Strategie der Bundesregierung mit hunderten von einzelnen Maßnahmen. Alle Ministerien standen dahinter; es ging um Landwirtschaft, Flächen, alles was die Natur berührt. Was ist daraus geworden? Da hakt niemand nach.

Wie hat sich die Agenda der Naturthemen verändert?

Es gab in den 70er Jahren eine große Konjunktur für Waldthemen. Dann kamen Robbensterben und die Nordsee. Heute hat beides nicht mehr den Stellenwert. Das Thema Artenvielfalt wird von einigen Autoren immer wieder eingebracht. Die Blattmacher wissen oft nicht genau, worum es geht und lassen es zu, weil es wichtig klingt. Dann gibt es Unterthemen wie den ökonomischen Wert der Natur, die sich vorübergehend durchsetzen. Insgesamt haben Artikel aus diesem Themenspektrum in den Leitmedien eher abgenommen. Es gibt eine Ausnahme: Bei den neuen Land-Magazinen nimmt das Interesse zu. Die richten ihr Themenspektrum dezidiert auf alles aus, was wächst, kreucht und fleucht. Und haben damit große Erfolge! Sie haben etwas aufgegriffen, was die Leitmedien vergessen haben.

Also eine verpasste Chance?

Die Leitmedien sind mit Blindheit geschlagen, dass sie sich solcher Themen nicht annehmen. Aber das ist kein Zufall. Blattmacher von Leitmedien haben für solche Themen einfach nicht die Antennen, die Mentalität. Es gibt auch eine fehlende Kundenorientierung. Und eine gewisse Borniertheit gegenüber der Natur in unserem Berufsstand.

Warum ist Ihnen das Thema als Journalist so wichtig?

Ich bin persönlich motiviert: als Biologe ausgebildet, schon seit der Jugend interessiert an der Natur und besorgt darum, was mit ihr geschieht. Es geht mir auch um die nachfolgenden Generationen: Das Erlebnis einer funktionierenden Natur sollte für Kinder zum grundlegenden und regelmäßigen Bestandteil ihrer Erfahrungswelt gehören. Es gibt einen gesellschaftlichen Auftrag, diese Erlebnisdimension für die Kinder zu erhalten. Ihnen die Konfrontation mit Lebewesen zu ermöglichen, die ganz anders funktionieren als wir Menschen. Viele Kinder sind von Amphibien besonders fasziniert. In Deutschland stehen sie heute alle auf der Roten Liste. Was gesetzlich sogar bedeutet, dass kein Kind mehr einen Frosch fangen oder eine Kaulquappe aus dem Teich fischen darf. Dabei ist es so wichtig, diese ganz andere Form von Leben zu erfahren: hüpfendes Leben, glitschendes Leben.

Was war die ethisch oder moralisch schwierigste Situation für Sie als Umweltjournalist?

Emotional schwierig war eine Recherche in Australien und Indonesien: Ich habe über Meeresschildkröten geschrieben und habe in Australien einen Ort besucht, wo man sie erforscht und mit aller Mühe aufpäppelt. Und dann habe ich den Weg der Tiere dorthin verfolgt, wo die gleichen Tiere nach ihrer Meereswanderung gefangen werden: auf Bali, wo ich undercover in ein Schlachthaus gelangt bin und sah, wie diese Tiere, die ich vorher so bewundert habe, die ich magisch finde, wenn sie nachts an den Strand gekrochen kommen, einfach umgedreht und lebendig aufgeschlitzt werden wie eine Konservenbüchse, ausgenommen werden und dabei zappeln. Das war schwer.

Nicht einzugreifen?

Das im ersten Moment weniger. Sondern einfach nur, nicht davonzulaufen und die Augen davor zu verschließen. Eine Journalistenschülerin hat mir mal ein ähnliches Erlebnis geschildert und hatte eine ganz andere Haltung dazu – die des „Profis“, der sagt, dass so ein Erlebnis eine „starke Geschichte“ liefert, einen Aufreger. Ich habe sie gefragt, wie sie es schafft, das Geschehen so von sich abzuspalten. Ich habe das so schon öfter gehört und meine, da eine Entwicklung zu erkennen: sich zunehmend zu professionalisieren und zu distanzieren. Zu meinen, dass die Haltung, die vielleicht ein Spiegel- Reporter hat, jeder Journalist haben sollte. Es gibt aber ganz verschiedene Arten von Journalismus. Und verschiedene Medien, für die man arbeitet. Ich glaube nicht, dass es der einzig richtige Weg für Journalisten ist, immer und überall totale Distanz zu wahren.

Interview: Torsten Schäfer

Das Interview erschient bereits auf natur.de und im Band „Umwelt Europa“ der Friedrich-Ebert-Stiftung. Als es geführt wurde war der Autor Redakteur in Martin Meisters Redaktion bei GEO International.

Share on:

Related Posts

Alles frisch am Fischbach?

Das Fischbachtal steht vor einer entscheidenden ökologischen Herausforderung:  Während der Biber nach 200 Jahren zurückkehrt und die Gewässerstruktur aufwertet, kämpfen

weiterlesen
Skip to content