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Mit künstlicher Intelligenz zur Arbeit

Schläft der? Das glaube ich ja nicht. Aber ich dachte, ich hätte eben ein Schnarchen gehört und sein Mund ist offen. Da läuft auch ein Speichelfaden langsam vom offenen Mund auf sein Hemd. Andererseits: Warum auch nicht? Es ist früh, und er ist ja eigentlich auch nur noch zur Dekoration hier. Der Bus fährt autonom, und der Busfahrer muss nur noch eingreifen, falls die Systeme ausfallen. Da würde ich auch vor Langeweile einschlafen. Das Lenkrad bewegt sich ganz von allein. Dieser Anblick bereitet mir aber doch jedes Mal ein flaues Gefühl im Magen.

Die anderen Passagiere hängen bloß am Handy – wie immer. Dabei ist der Bus doch noch brandneu. Dieser angenehm ledrige und fabrikfrische Geruch von neuem Auto, beziehungsweise Bus, liegt mir in der Nase. Die Sitze sind noch etwas unbequem, weil sie noch nicht eingesessen sind. Aber das kommt noch. Heute fahren die neuen intelligenten Stadtbusse in Darmstadt ja erst seit einer Woche.

Autofreie Zone 

Auf einmal vibriert mein Handy, und das Display leuchtet auf: „Du hast den Regenschirm vergessen“. Tja! Das passiert eben, wenn man beim Wecker immer wieder auf die Schlummertaste drückt. Eigentlich hatte ich immer einen Schirm im Kofferraum, aber das Auto gibt es ja nicht mehr. Seitdem die „Künstliche-Intelligenz-Infrastruktur“ in den Innenstädten in vollem Betrieb ist, brauche ich es ja nicht mehr. Es hat nur unnötige Kosten und Abgase verursacht.

In den Innenstädten ist es jetzt verboten, Auto zu fahren. Stattdessen gibt es jetzt die neuen KI-Busse und KI-Bahnen. Auf den Dörfern sieht das noch ein wenig anders aus. Wenn ich vor die Haustüre gehe, steht dort kein intelligenter Bus. Doch auch hier hat sich in den letzten Jahren viel getan. Es ist nicht mehr so wie früher, dass jeder sein eigenes Auto hat. Ganz im Gegenteil: Die Gemeinden sprechen sich durch Carsharing-Apps ab, sparen so auch eine Menge Geld und pusten weniger Abgase in die Luft.

Heute habe ich auf dem Weg zur neuen Bushaltestelle wieder Caro und Mo mitgenommen. Die beiden wohnen bei mir um die Ecke. Sie sind ein Pärchen, streiten aber ununterbrochen. Vorhin haben sie im Auto kein Wort miteinander geredet. Da war ich dann doch froh, dass der Weg zur Haltestelle nicht weit ist. Das riesige Parkhaus hat genug Platz für alle Autos aus der Region und liegt auch direkt neben der Bushaltestelle Richtung Innenstadt. Dort verläuft auch die Autogrenze. Bis hierhin kann man also mit dem Wagen fahren. Hinter der Grenze muss ein öffentliches Verkehrsmittel genutzt werden, sonst drohen immens hohe Strafgebühren. Die Regierung wollte mit dieser Maßnahme ein Exempel statuieren. Manchmal muss eben hart durchgegriffen werden.

Kommunizierende Busse – kein Stau

Autsch! Mein Kopf schlägt gegen das Fenster und ein Schlagloch holt mich unangenehm aus meinen Gedanken zurück. Jetzt fällt mir auf, dass der Bus vor uns ja wirklich in einem immer gleichbleibenden Abstand zu unserem fährt. Genau so, wie es die Vertreter der „Green Economy“ immer gepredigt haben: „Die Zukunft erwartet Sie! Autonome öffentliche Verkehrsmittel, die miteinander kommunizieren und so in perfektem Timing fahren. Nie wieder Staus! Nie wieder Stop and Go!“  Als ich das zum ersten Mal gehört habe, musste ich lachen. Ich bin doch hier nicht bei „Zurück in die Zukunft“.

Früher war das Thema Nummer 1 ja immer, wie unzuverlässig die öffentlichen Verkehrsmittel sind. Dann, als die Regierung beschloss, keine Autos in den Innenstädten mehr fahren zu lassen, gab es auch erstmal einen großen Aufschrei. Ich war da auch ganz vorne mit dabei. Aber jetzt sitze ich hier, in einem Bus, der mit den anderen Bussen und Bahnen „kommuniziert“, wie es in den Werbefilmchen immer heißt.

Wenn man mal so darüber nachdenkt macht es alles Sinn: Die „Öffis“ sind so aufeinander abgestimmt, dass es in den Innenstädten weder Staus noch stockenden Verkehr gibt. Damit wird die Umweltbelastung durch Sprit ungemein verringert. Zusätzlich fahren keine Autos mehr in den Innenstädten, was zur Folge hat, dass man nie wieder auf Parkplatzsuche ist und keine zusätzlichen Emissionen ausstößt. Ein weiterer Vorteil, der mir ganz besonders zusagt, ist, dass keiner mehr mit seinem ausgeliehenen Porsche protzt und den Motor laut aufheulen lässt, nur um sein Ego zu pushen.

Verschlafene Busfahrer 

„Achtung! Wir erreichen in Kürze unsere Endstation. Bitte steigen Sie alle aus“, sagt eine weibliche Computerstimme in der Durchsage. Der Bus bleibt stehen und die Leute fangen an aufzustehen und ihre Taschen zu nehmen. Zeitgleich fängt es an zu regnen. Wie sollte es auch anders sein.

Von der aufkommenden Unruhe wird sogar der Busfahrer wach. Er schaut verwirrt zurück und wischt sich den Speichelfaden vom Mund. Ich stehe auf und laufe an ihm vorbei. „Guten Morgen“ sage ich noch mit einem Grinsen im Gesicht zu ihm, bevor ich aus dem Bus aussteige und zur Arbeit laufe.

 

 

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