Irgendwann hatte sich im Land irgendwas verändert: Immer häufiger war von Deregulierung die Rede gewesen, von überflüssiger Bürokratie, von Freiheitsbedrohung durch Umweltschutz, von knappen Kassen und fehlendem Wachstum. Selbst der grüne Umweltminister Jürgen Trittin wollte 2003 die Ökosteuer einfrieren, jedenfalls nicht weiter erhöhen. Immer häufiger beschrieben Artikel den Niedergang, die Konterrevolution, wenn man so will. „Umweltschützer bei Gelegenheit“, hieß mal eine Überschrift, „Grün macht schlapp“ eine andere.
Es war Überdruss, der da um sich griff. Und Frust, weil sich so wenig ändern wollte.
Immerhin: Sogar Bild am Sonntag raffte sich noch einmal auf, beschäftigte eine Kollegin, die als „Klima-Kommissarin“ unterwegs war. Sie zeige, „was jeder von uns für das Weltklima tun kann“ – so wurde sie seinerzeit von der BamS vorgestellt. Das geschah 2007, in dem Jahr, als Angela Merkel zur „Klimakanzlerin“ erkoren wurde.
Als das Jahr zu Ende ging, solidarisierte sich Merkel mit dem Kampf der deutschen Autoindustrie gegen die von Brüssel geplante Verschärfung der CO2-Grenzwerte – und BamS stellte die Klimaschutz-Ermittlungen ein. „Nach einem Jahr hat man alles erzählt. Die Leute sind irgendwann auch müde“, sagt die damalige Klima-Kommissarin heute.
Der Klimawandel, die Erderwärmung kam aber 2007 nicht zum Stillstand. Ebenso wenig sind die meisten anderen Versprechen von Rio verwirklicht worden:
- Die Einkommenskluft innerhalb vielen Nationen und zwischen ihnen ist größer geworden.
- Die Natur ist derweil regelrecht unter die Räder gekommen, auch in Deutschland. Niemand sollte sich von dem Umstand täuschen lassen, dass inzwischen wieder ein paar Wölfe durchs Land streifen.
- Die Konzentration von Kohlendioxid in der Atmosphäre ist dramatisch gestiegen.
- Vier von neun planetaren Grenzen sind durch den Einfluss des Menschen bereits überschritten, hat ein Team von 18 Wissenschaftlern gezeigt: Klimawandel, Biodiversität, Landnutzung und biogeochemische Kreisläufe.
Der Mensch ist inzwischen zu einer geologischen Kraft, zu einer Naturgewalt geworden. Der Begriff Anthropozän kennzeichnet diese neue Epoche.
Es gäbe also mehr denn je Anlass für Neugier, für Berichterstattung, auch für Empörung. Doch während dem Publikum nun schon seit Längerem jeden Abend vor der Tagesschau das Neueste vom Auf und Ab an den Aktienmärkten serviert wird und vom Rauf und Runter der Mutter aller Zahlen, dem Quartalsgewinn, versiegen tatsächlich die Informationen über den Status quo des Planeten – und über die Möglichkeiten, wenigstens das Schlimmste zu verhindern.
Das ist eine steile These. Ich bin mir dessen bewusst. Mir ist auch klar, dass schon in Kürze der Eindruck entstehen wird, sie sei an den Haaren herbeigezogen. Je näher nämlich die Klimakonferenz in Paris rückt, desto mehr wird die Berichterstattung über das bevorstehende Großereignis anschwellen. Wir werden am Ende einen Halbstunden-Rhythmus upgedateter Nachrichten in punkto Klimaschutz und Klimaverhandlungen erleben, ein wahres Feuerwerk.
Es ist allerdings nicht mehr als – Eventjournalismus. Bei Gelegenheit ist eben auch das Klima ein großes Thema. Dann, allerdings fast nur dann, wenn die Mächtigen einen Anlass dafür geschaffen haben – oder wenn irgendwo auf dem Planeten ein katastrophales Ereignis stattfindet, wie im Frühjahr auf der Pazifikinsel Vanuatu. Allerdings gerät das dann auch schnell wieder in Vergessenheit.
Wie aber sieht es im journalistischen Alltag aus?
Ein Beispiel, die Berichterstattung über die Sustainable Development Goals der Vereinten Nationen: Ende April beklagte EurAktiv.de, „das führende Medium zur Europapolitik“, dass in Deutschland „kaum jemand mitbekomme“, dass in New York über die Nachhaltigkeitsziele für die Welt im Jahr 2030 verhandelt werde. „Nachhaltigkeitsziele: Im Zentrum und doch unbemerkt“, hieß die Überschrift über den Artikel.
Wohl wahr.
Ende Mai 2015 bekam ich eine Einladung von Germanwatch zu einem Presse-Hintergrundgespräch: „Welche Chancen die globalen Nachhaltigkeitsziele für Deutschland bieten: Neue Impulse für Energie- und Einwanderungswende“. Ein paar Tage später bekam ich wieder Post von Germanwatch: „Wegen zu geringer Resonanz müssen wir das für morgen geplante Pressegespräch leider absagen.“ Damals spielte sich zwar im Mittelmeer schon das Flüchtlingsdrama ab, aber noch nicht an den deutschen Grenzen. Die Presse war nicht interessiert.