Tatsächlich ist das nicht nur mein persönlicher oder ein zufälliger Eindruck: Studien der Leuphana-Universität Lüneburg zeigen, dass der Begriff Nachhaltigkeit, also der Schlüsselbegriff von Rio, in der Berichterstattung heute zwar mehr als doppelt so häufig auftaucht wie noch vor 20 Jahren. Es wird mehr über Bio-Essen und Öko-Siegel berichtet, auch über den Klimawandel. Dabei dominiert allerdings bei Weitem, was die Lüneburger Forscher „alltagssprachlichen“ Gebrauch des Nachhaltigkeitsbegriffs nennen. Wie in einem Bericht aus der FAZ über südamerikanischen Weinbrand, in dem von einem „weichen, vollmundigen und nachhaltigem Pisco der Extraklasse“ die Rede ist.
Ein weiteres Indiz:
An der TU-Dortmund gibt es ein Projekt namens Medien-Doktor. Nach einem klar definierten Kriterienkatalog werden dabei umweltjournalistische Beiträge unter die Lupe genommen und begutachtet. Vor Kurzem sind die ersten 50 begutachteten Beiträge zusammenfassend analysiert worden. Das größte Problem, so stellte sich dabei heraus, ist der fehlende Kontext. 42 von 50 der begutachteten Artikel berichteten nur linear über Umweltprobleme, ohne sie in irgendeinen Bezug zu wirtschaftlichen, sozialen oder politischen Hintergründen zu stellen.
Wie konnte es so weit kommen?
Erstens durchleiden die Medien eine fundamentale Krise – und zweitens hat sich das gesellschaftliche Klima verändert.
Zunächst zum sozialen Klima:
Die Energiewende, nach amtlicher Lesart „das größte wirtschafts- und umweltpolitische Projekt seit dem Wiederaufbau in der Nachkriegszeit“ macht inzwischen vor allem als Kostentreiber von sich reden – auch, weil der ehemalige Umweltminister Peter Altmaier die Öffentlichkeit wiederholt mit der nicht begründeten Behauptung (v)erschreckte, die Gesamtkosten des Vorhabens könnten sich bis Ende der 2030er Jahre auf eine Billion Euro summieren.
Auch verstummen nicht die Stimmen derer, die den Klimawandel als „herbeigeredeten Menschheitsnotstand“ bezeichnen – und als die Erfindung moderner Schamanen und Priester entlarven.
Selbst technische Normen werden zum Anlass genommen, Umweltschutz grundsätzlich in Frage zu stellen. Als im Sommer vergangenen Jahres das EU-weite Verbot stromfressender Staubsauger in Kraft trat hieß es im Spiegel, der Vorgang offenbare, „welch trübes Menschenbild in Brüssel mittlerweile vorherrscht“.
Kommen wir zu den Medien: Die Kommunikationsindustrie erlebt und erleidet gerade ihre eigene Krise, verursacht vor allem durch die Digitalisierung. Qualitätsjournalismus ist vielen Verlagen schlicht zu teuer geworden. Vor Kurzem wurde zum Beispiel bekannt, dass der Tagesspiegel (Berlin) alle freien Autoren mit sofortiger Wirkung bis zum Jahresende von ihrer Arbeit freistellt. Der Verzicht auf deren Beiträge bedeutet Mehrarbeit für die festangestellten Redakteure des Tagesspiegels. Der Berliner Parlamentsredakteur schrieb bereits über die Wahlen in der Schweiz, und der Berliner Lokalreporter über die Wahlen in Kanada. Wenn jeder über alles schreiben können soll leidet selbstverständlich die Qualität, Expertise oder Netzwerke von Informanten lassen sich unter solchen Bedingungen nicht aufbauen oder pflegen.
Dass die Qualität unter die Räder zu kommen droht, dass insbesondere die Umweltberichterstattung schon heute leidet, auch das ist nicht nur mein persönlicher Eindruck.
„Das Niveau verflacht“, erklärt Ismeni Walter, Professorin am Studiengang Ressortjournalismus der Hochschule Ansbach: Zwar seien Umweltthemen sehr präsent, aber das gehe inzwischen sehr stark in Richtung Lifestyle. Die wirklich dringenden Themen gerieten dabei „immer mehr in den Hintergrund“.
„Die große Euphorie ist vorbei“, sagt der taz-Umweltkorrespondent Bernhard Pötter. Trotz aller grünen Bekenntnisse in Wirtschaft und Politik hätten sich die Bedingungen für den Umweltjournalismus verschlechtert. Aktuell werde das an der Berichterstattung über den Abgasskandal und die VW-Krise deutlich, ließ sich Pötter in einem Aufsatz zitieren.
Der Autor dieses Aufsatzes, Torsten Schäfer, lehrt Journalismus an der Hochschule Darmstadt. Er beklagt, dass „im neuen grünen Medienwald“ Kompetenzen wegbrechen, erfahrene Fachjournalisten gehen, Umweltkorrespondenten weniger werden.
Der Pressesprecher einer in den Medien sehr präsenten NGO berichtete mir Folgendes: Er stelle fest, dass den meisten seiner „Klienten“ die Zeit fehle, den Dingen wirklich auf den Grund zu gehen – mit der Folge, dass sie nicht mehr in der Lage seien, Farbe zu bekennen. „In dem Maße, wie Journalisten sich weniger mit komplexen Themengebieten beschäftigen und dabei eigene Expertise entwickeln werden sie zögerlich, sich festzulegen“, sagte er mir. Stattdessen werde viel Energie darauf verwendet, irgendein Dokument etwas früher als die Konkurrenz zu bekommen.
Dies alles geschieht, während sich die Schlagzahl erhöht, während die Medienmacher praktisch permanent mit neuen Großthemen konfrontiert werden:
Pegida, abstürzende Flugzeuge, Korruption bei der Fifa, Flüchtlinge, Abgasskandal, Griechenland, Euro, dazwischen noch kurz TTIP, die UN-Debatte über die SDGs und der nächste Klimagipfel: Die Öffentlichkeit, und damit sind auch die Medien gemeint, „kann immer weniger folgen und vergisst immer schneller“. De facto sind nicht nur viele Politiker zu Getriebenen geworden, den Medienmachern ergeht es nicht anders. Von wegen Vierte Gewalt.
Das traurige Resultat beschrieb neulich Thomas Fischer, Richter am Bundesgerichtshof: „Journalisten, deren intellektuelle Fähigkeiten und Fachkenntnisse gerade eben zum Zubinden der Schuhe und zum Auftragen von Mascara ausreichen, erklären Hunderttausenden von Medien-Konsumenten die Welt (wie sie ihnen oder ihren Marionettenspielern gefällt).“
Das ist sehr zugespitzt, falsch ist es nicht.
Ob Internetportale, ob Blogs, dieses Defizit auszugleichen könnten vermag ich nicht zu beurteilen, habe da aber Zweifel. Mit diesen wenig ermunternden Worten möchte ich schließen – nicht ohne sie zu ermuntern, für eine bessere Welt zu kämpfen.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.