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Föderales Zahlenchaos als Recherche-Erfahrung

Fehlende Daten und erstaunliche Unstimmigkeiten: Die Ergebnisse des Rechercheprojekts sorgten für eine Überraschung (Quelle: Chris Devers/ CC BY-NC-ND 2.0)
Fehlende Daten und erstaunliche Unstimmigkeiten: Die Ergebnisse des Rechercheprojekts sorgten für eine Überraschung (Quelle: Chris Devers/ CC BY-NC-ND 2.0)

Von Hanne Tügel und Torsten Schäfer

Im Dezember 2007 stand die große Klimakonferenz von Bali auf der Agenda. Die Redaktion des Magazins GEO beschloss, das Thema mit eigenen Ansätzen anzugehen: einer Titelgeschichte und einem Sonderheft, das die Klimaschutzpolitik der deutschen Bundesländer verglich. Das hatte noch niemand getan. Daraus wurde ein mehrmonatiges Rechercheprojekt.

Das Team verglich 16 Länder in den Sektoren Energie, Verkehr, Bau und Politik-Strategien – anhand von 20 selbst entwickelten Kategorien, die aus fast 40 Themengebieten ausgewählt wurden. Vieles wurde recherchiert, was nie Verwendung fand. Es gab Statistik-Chaos, Sackgassen, Umwege und auch Blockaden, in Pressestellen und Landesämtern. Vieles funktionierte gut. Und viele Pressesprecher, Umweltverbände und Forscher halfen erstaunlich schnell und präzise.

Alles in allem war das Projekt fordernd, lehrreich und vor allem voller Überraschungen. Denn die Journalisten stießen bei der Recherche auf verblüffende Unstimmigkeiten, Lücken und Fallen im föderalen Dickicht. Daten gibt es dort viele: bei den statistischen Ämtern, beim Länderarbeitskreis Energiebilanzen, bei Wirtschafts- und Industrieverbänden.

Unvollständige Daten

Aber oft sind sie nicht vollständig – ein Grundproblem in Deutschland, das sich auch bei anderen Themen wie etwa der Finanzierung der Naturschutzpolitik zeigt, die dasselbe Team in einem Folgeprojekt recherchierte. „Viele Entwicklungsländer haben bessere Daten als wir“, fasste ein Experte aus dem Bundesamt für Naturschutz zusammen.

Wichtige Daten etwa werden nicht in allen Ländern erhoben. Das fängt bei einer für den Klimaschutz entscheidenden Größe an, dem Ausstoß von Kohlendioxid (CO2). 14 Bundesländer erfassen diesen Wert zu Recht in zwei Varianten: am Ort der Entstehung („Quellenbilanz“) und am Ort der Energienutzung („Verursacherbilanz“). Wenn ein nordrhein-westfälisches Kohlekraftwerk Niedersachsen Energie liefert, wird der CO2-Ausstoß also einerseits an der Entstehungsquelle Nordrhein-Westfalen registriert.

Eine entscheidende Information ist aber auch, für wen die Energie bestimmt ist und wer damit die CO2-Emissionen letztlich verursacht, also Niedersachsen. Bayern und Hessen weigern sich, diese zweite Variante statistisch zu erfassen. Das macht einen Vergleich nach dem Verursacherprinzip unmöglich; auch der GEO-Test musste sich notgedrungen auf die CO2-Emissionen nach der ersten Berechnungsgrundlage stützen.

Auch manch anderer potenziell interessante Indexpunkt scheiterte am Föderalismus. So haben einige Landesbehörden zum Beispiel sehr wohl einen Überblick darüber, wie viel Geld sie in die Klimaforschung stecken. Andere interessieren sich nicht dafür – Ende der Vergleichbarkeit.

Wertlose Statistiken

Manchmal sind Statistiken vollständig vorhanden, aber trotzdem wertlos. Im Sektor Verkehr erschien es interessant, den Neubau von Straßen seit 1990 unter die Lupe zu nehmen. Erster Dämpfer: Statistisch erhoben werden nur „überörtliche Straßen“, also Bundesautobahnen, Bundes-, Landes- und Kreisstraßen.

Eine Gesamtübersicht, die auch die kleineren, kommunalen Straßen umfasst, existiert nicht. Notgedrungen engte das GEO-Team die Betrachtung auf überörtliche Straßen ein – und stieß auf ein seltsames Phänomen. Zwischen 1990 und 2006 war das Straßennetz nicht wie erwartet gewachsen, sondern in etlichen Bundesländern beachtlich geschrumpft.

War der Öffentlichkeit etwas entgangen? Hatten anonyme Bautrupps heimlich Straßen stillgelegt und rückgebaut? Der Fachmann aus der Gruppe VC (Verkehr) im Bundesamt für Statistik gab eine andere Erklärung: „Umwidmung“. Jahr für Jahr wird neu festgelegt, welche Straße welches Attribut erhält – Landesstraßen werden zu Kreisstraßen, und aus Kreisstraßen werden Kommunalstraßen.

Diese verbinden zwar immer noch Orte miteinander, verlieren aber den Status der „Überörtlichkeit“ und verschwinden aus der Statistik. So erweitert sich das Straßennetz real, während es statistisch schrumpft – und sich der Möglichkeit von Bundesländervergleichen entzieht.

Rätselhafte Kraftwerks-Daten

Ein anderes Problem: Manche Daten werden ungern herausgegeben. Wie viele Kohlekraftwerke gibt es in den einzelnen Bundesländern und mit welchem Wirkungsgrad arbeiten sie? Eine präzise Frage, so scheint es, und einfach zu beantworten. Der zuständige Verband der Elektrizitätswirtschaft VDEW sah das anders. Er lieferte zwar Zahlen zu neu geplanten Kohlekraftwerken, behauptete aber, nicht zu wissen, wie viele bisher an welchen Orten in Betrieb sind.

Der Deutsche Braunkohlen-Industrie-Verein machte GEO zwar eine Übersicht über die mit Braunkohle befeuerten Anlagen zugänglich; beim Gesamtverband des deutschen Steinkohlenbergbaus aber fehlten die entsprechenden Informationen angeblich.

Es folgten Anrufe und E-Mails beim Umweltbundesamt, beim Umweltministerium, beim Wirtschaftsministerium, bei den 16 Wirtschaftsministerien der Länder. Manche hatten Antworten für ihren Bereich, andere nicht. Ein Dutzend Gespräche mit mäßig gelaunten Kraftwerksbetreibern blieben ebenfalls unergiebig.

Tatsächliche Leistung bleibt ein Geheimnis

Immerhin ein Hinweis: Das „Jahrbuch der Europäischen Ener gieund Rohstoffwirtschaft“ enthalte eine detaillierte Übersicht. Das 248 Euro teure Werk war in der Staatsbibliothek einsehbar – der Kauf wäre eine Fehlinvestition gewesen, da auch hier längst nicht bei jedem Kraftwerk Brennstoff bzw. Leistung vermerkt sind.

Erst ein Gespräch mit dem wissenschaftlichen Beirat, der die Recherche für die Klima-Rangliste begleitete, brachte dann einen echten Fortschritt. Prof. Dr. Claudia Kemfert, Energie- und Klima-Expertin am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) in Berlin, erwähnte, dass ihr Institut eine Datenbank besitze, aus der sich die gewünschten Daten ermitteln lassen müssten.

Der zuständige DIW-Experte war bereit, den GEO-Test zu unterstützen und anhand von Baujahren, Leistungsdaten und verwendeten Energieträgern auszurechnen, wie sich die Effizienz der Kohlekraftwerke in den einzelnen Bundesländern unterscheidet.

Allerdings geht auch aus dieser Berechnung nur die Nennleistung hervor; zugrunde liegt der Wirkungsgrad, der im Baujahr des Kraftwerks Stand der Technik war. Welchen Wirkungsgrad ihre Kraftwerke im Alltag tatsächlich besitzen, diese Information hüten die Betreiber auch gegenüber dem DIW als Betriebsgeheimnis.

Dieser Artikel erschien bereits im Band Umwelt Europa der Friedrich-Ebert-Stiftung.

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