Von Torsten Schäfer
Herr Prof. Kuckartz, wie umweltbewusst sind die Deutschen?
Wir haben eine starke Sensibilität für Umweltthemen, einen hohen Grad an Umweltwissen – und sind insgesamt sehr positiv eingestellt. Das hat in den vergangenen Jahren zugenommen. Bei der Handlungsbereitschaft sieht es im internationalen Vergleich nicht ganz so gut aus.
Wo stehen wir da?
Bei den reinen Einstellungen sind die Skandinavier und auch die Niederländer besser. Beim Umwelthandeln gibt es Unterschiede: Wir trennen den Müll wie kein anderes Volk, sind aber schlecht platziert, wenn es ums Autofahren geht. Und auch bei der Bereitschaft, zu zahlen und etwa für Umweltorganisationen zu spenden. Da liegen wir im hinteren Drittel in Europa. Skandinavien liegt wieder vorne, aber auch die Engländer sind spendabler. Osteuropäischen Staaten stehen am Ende, einfach auch, weil die Bürger dort weniger Geld haben. Zusammenfassen kann man sagen, dass die Deutschen durchweg recht positiv dastehen – aber nicht so positiv, wie sie sich selbst gerne sehen.
Wie hat sich das deutsche Umweltbewusstsein seit 1986 entwickelt?
Es ist heute viel ausgeprägter als vor 27 Jahren. Denn inzwischen hat Umwelt als Langzeitthema gewonnen und erfasst alle Bereiche der Gesellschaft. Diese Entwicklung ist erstaunlich und hat das generelle Umweltbewusstsein sehr vorangetrieben.
Wie kam es zu dieser Entwicklung?
Es fing damit an, dass nach Tschernobyl alle Parteien Umweltinhalte in ihre Programme aufgenommen haben. Und auch die Unternehmen fingen an, sich dem Thema zu öffnen: mit der betrieblichen Umweltberichterstattung, Auditing und dergleichen. Das wurde und wird teils als Greenwashing belächelt, hat aber mit dazugeführt, dass Umweltschutz und -politik zu Massenthemen geworden sind.
Ganz konkret: Was waren die wichtigsten Wegmarken?
Im Zuge von Tschernobyl gelangte das Umweltthema erstmals auf Platz eins der tagespolitischen Agenda. Bis Ende der 80erJahre blieb es an der Spitze, doch dann kam der Fall der Mauer, der die Aufmerksamkeit auf ganz andere Fragen lenkte. Umweltschutz war als Thema im Sinkflug – und 1998 am Boden angekommen. Es kehrte zurück, als Rot-Grün den Atomausstieg anging – woran man sieht, dass die Atomkraft auf das Umweltbewusstsein in Deutschland eine besondere Auswirkung hat. Was man aktuell wieder sieht! Nach 1998 blieb die Thematik auf der Agenda, ein weiterer Schub kam mit der Klimadebatte ab 2006/2007.
Sie betonen die Rolle der Atompolitik. Steuert sie also indirekt das Umweltbewusstsein?
Nein, keinesfalls alleine. Andere Themen spielen auch eine wichtige Rolle. Denken wir an das Waldsterben in den 80er Jahren. Große Themen wurden in den 90er Jahren Recycling und Mülltrennung. Dann kamen die erneuerbaren Energien, zu denen die Deutschen ein sehr positives Verhältnis haben. In dieser Aufzählung geht es übrigens immer um die Tagespolitik. Es gibt noch eine andere wichtige Ebene!
Woran denken Sie da?
Es gab Zeiten wie etwa um 2004, als Blätter wie Die Zeit titelten: „Umwelt ist out“. Ich habe immer darauf hingewiesen, dass die Ergebnisse der Studien das Gegenteil besagten. Umweltschutz war tagespolitisch und medial zwar nicht angesagt, latent war aber immer ein starkes Bewusstsein vorhanden. Das zeigten die Umfragen: Je weiter in die Zukunft die Bürger blickten – und gefragt wurden, welche Fragestellungen in 20 Jahren aktuell sein werden – desto wichtiger war für sie die Umwelt. Das ist für mich entscheidend: Das Thema ist auf einer grundlegenden Ebene in der Bevölkerung – und auch in der Führungsschicht – stark verankert. Es ist in der Mitte der Gesellschaft angekommen – viel stärker und bereits früher, als gemeinhin vermutet wird.
Welchen Anteil hat die staatliche Umweltpolitik an dieser Entwicklung?
Der erste wichtige Schritt war 1974 die Gründung des Umweltbundesamtes, das in seiner aufklärerischen Wirkung bis heute nicht zu unterschätzen ist. Dann kommt 1986 die Gründung des BMU, das mit vielen Studien, Kampagnen und auch der Förderung der Umweltbildung das öffentliche Bewusstsein stark geprägt hat. Die Gründung des Nachhaltigkeitsrates und die Betonung des Themas nachhaltiger Konsum waren zum Beispiel wichtige Schritte. Es gibt viele Bausteine, die eine Rolle spielen.
Wo müsste politisch mehr geschehen?
Das BMU sollte bei seinen Förderungen und Aktionen die sozial- und kulturwissenschaftliche Seite des Umweltschutzes stärker in den Blick nehmen. Bisher dominiert die naturwissenschaftliche Perspektive. Gesellschaftlich fehlt es am Bewusstsein für die Folgen des eigenen Verhaltens: Man beschränkt sich auf symbolisches Handeln mit schwächerer Wirkung wie Mülltrennen, Energiesparlampen kaufen und anzubringen oder einen Fahrradausflug zu machen. Setzt sich dann aber in den Billigflieger, was – gemessen am CO2-Ausstoß und weiteren Umweltbelastungen – alles andere zunichte macht. Das muss stärker zusammen gedacht werden: der Zusammenhang von großen und kleinen Schritten, die wir natürlich auch brauchen.
Um im Bild zu bleiben: Wie kann der Staat den Bürgern das Gehen erleichtern – auch die großen Schritte?
Er kann die Infrastruktur verändern, gerade im Verkehr. Bus und Bahn würden stärker genutzt, wenn die Rahmenbedingungen andere wären: Schlechte Taktzeiten, fehlender Komfort und vor allem zu hohe Preise sind Hindernisse, die abgebaut werden müssten. Entsprechend verständlich ist, wenn andere, klimaschädlichere Verkehrsmittel vorgezogen werden, ob Auto oder Flugzeug.
Die Bereitschaft zu grundlegenden Veränderungen ist also da. Es fehlt nur am nötigen Rahmen?
Bei diesem Beispiel sicher. Aber auch bei anderen Themen. Klar ist, dass das hierzulande vorhandene, hohe Umweltbewusstsein eine noch mutigere und weitreichendere Umweltpolitik erlaubt – und sogar fordert. Die Bürger würden mehr mittragen und befürworten, als man denkt.