Verkehrswende: „Man wird als Querulantin abgestempelt“

Interview: Silia Gregan

Frau Brammer, was gefällt Ihnen an Mühltal besonders?

Mir gefällt vor allem die Nähe zum Wald und zu Darmstadt. Man wohnt naturnah, ich lebe seit 2013 hier, mein Mann ist hier aufgewachsen. Aber wenn es mich kulturell in die Stadt zieht, habe ich Darmstadt oder das Rhein-Main-Gebiet in unmittelbarer Nähe.

Dennoch gibt es Probleme, etwa bei den Themen Verkehr und Wohnen. Warum setzen Sie sich hier so für Veränderungen ein?

Angestoßen wurde mein Engagement durch meine eigene Betroffenheit. Wir wohnen ja direkt vorne an der Alten Darmstädter Straße, die dicht befahren ist. Außerdem sind unsere Kinder viel zu Fuß und mit dem Fahrrad unterwegs. Da hat man eine ganz andere Sicht auf den Verkehr und die damit verbundenen Gefahren. Inzwischen sehe ich aber, dass viele Probleme in Mühltal allgemein bestehen. Unsere Kinder sind inzwischen größer, aber mein Einsatz auch für kleiner Kinder ist geblieben. Es geht auch nicht immer nur darum, auf positive Veränderungen hinzuarbeiten, sondern oft allein darum, dass negative Veränderungen unterbleiben.

Bild: privat

Welche Schritte sollten gegangen werden, um die Sicherheit der Kinder im Mühltaler Verkehr zu gewährleisten?

Ich wirkte schon als Elternbeirätin im Kindergarten und in der Schule darauf hin, dass wir hier Dinge wie eine Verkehrsinsel, Ampeln und Zebrastreifen bekommen. Es gab zwar Verkehrsbegehungen zu Zeiten, zu denen allerdings keine Kinder auf den Straßen unterwegs sind. Es wird immer so gedreht, dass angeblich kein Bedarf besteht, dass gar nicht so viele Fußgänger unterwegs seien. Auf der gesamten Länge der Alten Darmstädter Straße, die angemerkt sehr lang ist, existiert aber kein einziger Überweg. Maßnahmen wären also vor allem, mehr Übergänge einzurichten. Und, dass Autofahrer gezwungen werden, langsamer zu fahren.

Wie steht es um die öffentlichen Verkehrsmittel in Mühltal und Umgebung?

Wir haben eine gute Anbindung, auch mit der Odenwaldbahn vom Nieder-Ramstädter Bahnhof nach Frankfurt. Ein Bus fährt auch durch den Ort. Die Verbindung ist an sich gut, Sonntags jedoch fährt zum Beispiel gar kein Bus hier in Trautheim und weiter nach Nieder-Ramstadt.

Dann heißt es Radfahren. Gibt es ausreichend Radwege, im Ort, nach Darmstadt?

Nach Darmstadt gibt es passable Waldwege und es ist wohl ein “echter“ Radweg nach Darmstadt geplant, entlang der B449. Da gibt es Überlegungen, ob man die Straße erweitert, um einen Radweg entlang der Fahrbahn zu führen. Richtung Nieder-Rahmstadt geht das an der Bundesstraße nicht, weil sich dort eine Allee befindet und man dann die ganzen Bäume fällen müsste. In den Mühltaler Ortsteilen selbst gibt es leider fast gar nichts an Radwegen.

Einen mehr gibt es nun, wenn auch indirekt – der nun für Autos gesperrte Feldweg in Trautheim, die „Aldi-Autobahn“. Wie haben Sie diesen heftigen Streit erlebt?

Zu diesem Thema gibt es eine eigene Bürgerinitiative. Das sind inzwischen Klägergemeinschaften, die seit 2014 ungefähr dagegen vorgehen, dass dieser Feldweg, als der er ausgewiesen ist, einfach nicht auf rechtswidrige Durchfahrten kontrolliert wurde. Die Leute sind da einfach durchgefahren, weil der Weg durch die Wohngebiete auch als überörtliche Verbindung etwa von Darmstadt nach Seeheim angenommen wurde. Und so war das dann eine vermeintliche Durchgangsstraße. Die wurde immer weniger kontrolliert. Und die sehr vom überörtlichen Verkehr genutzt wurde, um schnell von der einen Bundesstraße 449 zur anderen, zur B 426 zu kommen. Es gab dann eine Mediation, die Anwohner haben Kompromissvorschläge gemacht. Die Gemeinde wollte aber keine Mediation.

Jetzt kam ein Urteil des Verwaltungsgerichts, das den Anwohnern in allen Punkten Recht gegeben hat. Nun ist die „Aldiautobahn“ gesperrt.Nichts desto trotz schreitet die Gemeindevertretung wieder voran und fasst Beschlüsse. Bei jeder offenkundig sinnvollen Verkehrsberuhigungsmaßnahme gibt es zwei Standardbedenken mit denen die Maßnahmen politisch abgelehnt werden. Erstens heißt es immer, wir hätten kein Geld, selbst wenn es nur um 5000 Euro geht. Oder es wird gesagt, dass wir das Problem im Rahmen eines Verkehrskonzeptes lösen werden. Es gab 2011 mal so ein Verkehrskonzept. Das Ende vom Lied war dann, dass man gar nicht versucht hat, es umzusetzen.Im Fall der „Aldiautobahn“ zählen all diese Argumente nicht.Da will man jetzt ohne Verkehrskonzept mit dem Kopf durch die Wand, koste es, was es wolle.

Wie sieht es mit Umgehungsstraßen aus?

Wir haben den Lohbergtunnel, der ungefähr 2009 nach jahrelanger Planung und Bauzeit fertiggestellt wurde, um eben die bewohnte Umgebung zu entlasten. Mit Nieder-Ramstadt ist es auch einigermaßen gelungen. Eigentlich sollte der Tunnel auch eine Entlastung für Trautheim und Nieder-Ramstadt darstellen, die Menschen aus den Orten jenseits des Bundesstraßenringes sollten alle über die B 426 zu den Märkten im Westen Nieder-Ramstadts fahren. Dabei ist es zeitlich kein Umweg den Tunnel zu nehmen, da man auf dieser Strecke schneller fahren kann als durch die Wohngebiete mit den zahlreichen Hindernissen. Es wäre eine sinnvolle Maßnahme, diese Möglichkeit attraktiv zu präsentieren.

Mühltal geht es wie vielen Gemeinden im Rhein-Main-Gebiet: Es werden viele Häuser gebaut – was hat das für den Verkehr zu bedeuten?

Es ist gar nicht so, dass viele Flächen dazukamen sondern auch, dass eine Innenverdichtung stattfindet, wie an vielen anderen Orten auch derzeit. Gerade hier in Trautheim gibt es unheimlich viele große Grundstücke. Und wenn diese dann weitergegeben werden, entstehen darauf oftmals mindestens zwei oder drei Häuser. Somit findet eine sehr hohe Verdichtung statt, ohne dass es flächenmäßig drum herum größer wird. Mit jeder Familie die herzieht, sind es natürlich ein bis zwei Autos mehr die auf den Straßen unterwegs sind.

Nicht nur neue Wohnhäuser gibt es, ganze Wohngebiete sind geplant wie etwa der „Dornberg“ in Nieder-Ramstadt. Welchen Einfluss hat das auf den Verkehr in Mühltal?

Der Dornberg ist ein großes Gebiet. Es hieß damals allerdings, dass es „nur“ 4,9 Hektar groß wird und jetzt sind es doch 7,7 Hektar. Wir rechnen mit achthundert Einwohnern, die dort hinkommen. Die Nieder-Ramstädter Diakonie (NRD), die das Gelände verkauft, sagt, es würden nur sechshundert. Das sind mindestens tausend Fahrten mehr am Tag, die dazukommen. Das Ganze spielt sich dann im Ortskern ab und der Verkehr geht direkt durch die Wohnstraßen. Da wurde gar nichts geplant, der zusätzliche Verkehr wird ganz einfach auf die bestehenden Wohngebiete abgewälzt.

Gab es da keine Debatte, mit Alternativen?

Es wurde bereits zuvor von der Gemeinde ein Verkehrskonzept in Auftrag gegeben, das aber nicht umgesetzt wurde. Beziehungsweise die NRD, die das Gelände für das Wohngebiet dort verkauft, hat auch ein Gutachten erstellen lassen. Es wurde jedoch von der Mehrheitspolitik immer nur deren Auftragsgutachten beachtet – und eben nicht das neutrale, das die Gemeinde schon vorher in Auftrag gegeben hatte. Das vorangegangene Gutachten der Gemeinde hat zum Beispiel eine Entlastungsstraße vorgeschlagen, für die ich mich in der Bürgerinitiative auch eingesetzt hatte. Die wurde aber abgelehnt. Ich wurde angegangen von einigen politischen Akteuren, die all das wegenWohnraum“ einfach durchgewunken haben. Man wird als Querulant abgestempelt und als jemand, der dem Ort die Zukunft verbaut.Dabei wollten wir das Baugebiet gar nicht verhindern, sondern lediglich die Verbindungsanbindung menschenfreundlicher gestalten.

Das Engagement in der Bürgerinitiative, hat das ausgestrahlt? Wollen nun mehr Menschen mitmachen?

Die Leute beschweren sich immer ganz gerne, aber im Endeffekt macht keiner was. Und das ist ein bisschen schade. Man hat auch so ein bisschen den Eindruck, dass der Bürgermeister und in dessen Auftrag die Verwaltung es gerne ein wenig madig machen, wenn man sich einbringt. Wir haben hier auch viele Menschen wohnen, die sich einbringen würden mit viel Fachwissen, aber das wird immer alles im Keim erstickt. Es ist also nicht wirklich familien- und auch nicht bürgerfreundlich.

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