Der Mond scheint hell auf den kleinen Parkplatz im Wald. Ein SUV fährt langsam über den knirschenden Kies und kommt zum Stehen. Mit einem leisen „Klack“ fällt die Autotür ins Schloss. Irgendwo im Wald ruft eine Eule, ihr „Huhu-huhu“ klingt gespenstisch. Eine dunkle Gestalt schleicht vom Parkplatz in die Dunkelheit. Für Felix Kohl ist das ein ganz normaler Morgen.
Er ist 32 Jahre alt und lebt in der Nähe von Darmstadt mit seiner Frau, seinem kleinen Sohn und seinem Jagdhund, einer Deutsche Bracke, Balu. Hauptberuflich ist Kohl Chemiker, in seiner Freizeit jagt er. Zwei bis dreimal in der Woche schleicht Felix den kleinen Trampelpfad vom Parkplatz im Wald zum Hochsitz entlang. Je nach Saison versucht er, von dort aus Rehe und Wildschweine zu schießen.
Vom Hund gekommen
2010 hat Felix in Aalen, in der Schwäbischen Alb, den Jagdschein gemacht – wegen seines Wunsches nach einem Jagdhund. „Ich bin mit Hunden aufgewachsen und wollte wieder einen Hund. Ich fand Jagdhunde immer gut und die bekommt man eben nicht einfach so als Nicht-Jäger“, erzählt der Hobbyjäger.
Kürzlich hat er mit Jagdkollegen ein eigenes Revier gepachtet; mittlerweile ist die Jagd allgegenwärtig in Felix’ Leben – durch Waldspaziergänge früh morgens mit Balu, mit dem verdreckten Geländewagen, in dem er zur Arbeit fährt oder der selbst gemachten Wildschweinbratwurst, die Felix abends auf den Grill legt.
Seine Frau Jenny begleitet ihn gerne auf Drückjagden, einer Form der Gesellschaftsjagd. Dabei wird das Tier von Hunden und Treibern „angerührt“, wobei Balu auch immer eifrig mit dabei ist. „Es wird dabei aber nicht gehetzt, sondern eher sanft in Bewegung gebracht, damit es gut geschossen werden kann“, erklärt Jenny. Sich mit in den Hochsitz zu setzen, ist aber nichts für sie. Sie langweilt sich dabei. Für Felix ist das anders. Klar, es gibt auch langweilige Tage. Aber das Beobachten der Tiere, das Auf-der-Pirsch-Sein, ist Spannung pur für ihn.
Begleitet wird er dabei vom Farbenspiel des Sonnenaufgangs, wenn die dunkle Nacht den erst zarten, dann kräftigen Farben des Tages weicht. „Das hat doch etwas sehr Beruhigendes, Entschleunigendes und irgendwie etwas Erdendes für mich“, sagt Felix. Manchmal stören Konflikte die Ruhe. Bei einer Drückjagd im vergangenen November wurde die Jägergruppe um Felix wüst von Joggern beschimpft. Auch die Worte „Bambikiller“ hört er manchmal.
Felix macht sich aber nichts daraus. „Das kommt meistens halbernst von Leuten, die dann aber gerade ihr Schnitzel schneiden“, erzählt er mit einem leichten Schmunzeln. Meistens rudern sie aber schnell wieder zurück, geben zu, dass das Fleisch von Aldi nicht so super ist, und dass sie besser das Fleisch vom Jäger essen sollten und vor allem nicht so viel. Felix sagt dazu nur: „Die sehen das schon ein. Aber im ersten Moment heißt es immer erst einmal ‚Bambikiller.‘“ Die meisten Begegnungen mit Spaziergängern enden aber in guten Gesprächen.
„Wir essen kein anderes Fleisch“
Für Felix ist jagen eben nicht nur ein Hobby. Für ihn gehört auch das Entspannen auf dem Hochsitz, die Arbeit mit dem Jagdhund und der mit dem Fleisch verbundene Genuss dazu. „Ich finde, Jagen ist die beste und für mich angenehmste Art, Fleisch zu produzieren.“ Jäger müssen auch die Wildbestände korrigieren, berichtet der Waidmann, um eine Überpopulationen zu verhindern. Diese schaden dem Wald: Da sich Rehe bevorzugt von jungen Trieben und Knospen bestimmter Bäume ernähren, hemmen sie mit dem „Verbiss“ die Verjüngung des Waldes und sorgen so für beträchtliche Schäden.
„Bei der Jagd sind die Tiere wenig Stress ausgesetzt. Dadurch ist Jagen schonend, um Fleisch zu gewinnen“, erklärt Felix. Er behält aber nicht das ganze Fleisch für sich und seine Familie. Das meiste verkauft er. Den Teil, den er behält, verarbeitet er komplett. „Wir essen selbst sehr viel Wild, eigentlich kein anderes Fleisch. Wir machen da dann auch Spaghetti Bolognese oder so draus. Da verkommt nichts“, erzählt der Chemiker. Aber auch das Jagdhornspiel und Jagdverein machen einen großen Teil von Felix’ Hobby aus. Einmal die Woche hat er im Verein Übungsstunden zum Schießen und Jagdhornblasen. Über den Jagdverein hat er auch schon viele Freunde und Jägerkollegen kennen gelernt. Manchmal treten er und die anderen Jagdhornbläser auch bei Festen auf.
Allein deshalb ist es für Felix nicht schlimm, wenn er nicht immer mit einem erlegten Tier zurückkehrt. „Es passiert oft, dass man ohne Beute nach Hause kommt. Aber darauf kommt es auch gar nicht an. Wenn nur das das Ziel der Jagd ist, dann sollte man das ganze mal überdenken“, sagt Felix.
Er muss sich beim Jagen an die gesetzlichen Schonzeiten halten. Im Frühjahr sind etwa viele Rehkühe trächtig, sie dürfen dann nicht bejagt werden. Auch wenn es Felix nicht auf das Schießen selbst ankommt, versucht er trotzdem jedes Mal ein Wildschwein zu schießen. Aber auch da gibt es Regeln – ein führendes Muttertier mit Frischlingen darf nicht geschossen werden.
Wildschäden kosten Geld
„Der Bestand an Schwarzwild ist sehr hoch, es ist schwer zu bejagen“, erzählt er. „Und je mehr Wildschweine es gibt, desto mehr Schaden richten sie an.“ Felder, besonders gern Maisäcker, verwüsten sie auf der Suche nach Nahrung. Bei der Suche nach Nahrung graben die bis zu 90 Kilo schweren Schweine auch Wiesen um. Felix und die anderen Pächter des Reviers müssen für diese Schäden aufkommen.
Im vergangenen Jahr haben sie um die 700 Euro zahlen müssen. Doch Felix ist nicht genervt davon, für ihn ist das ganz einfach: „Wenn man ein Revier übernimmt, dann zahlt man auch den Schaden.“ Wenn der Schaden an einer Wiese nicht so groß ist, laufen er und seine Mitpächter einfach auf der Wiese herum und „wuseln die Grasnarbe wieder zusammen.“
„Schwierig für den Wolf“
Im September 2017 war ein Wolf bei Michelstadt unterwegs; auch deshalb wird in hessischen Jägerkreisen das Thema heftig diskutiert. Die meisten Jäger wollen keine Wölfe in ihrem Revier, denn der mache das Wild „heimlich“, sagt Felix. „Sobald ein Wolf im Gebiet der Tiere auftaucht, werden die vorsichtiger und kommen nicht mehr so gerne aus ihren Verstecken.“ Natürlich ist das Jagen nur ein Hobby, aber ein Hobby für das die meisten viel Geld bezahlen. „Da will man dann natürlich auch schon was schießen und bewirtschaften,“ sagt Felix. Er glaubt allerdings nicht daran, dass der Wolf wirklich in den hessischen Wäldern wieder heimisch wird: „Hier ist das schon ein schwieriges Habitat für einen Wolf, mit den vielen Autobahnen und kleinen Waldstücken.“
Felix lässt den Blick noch einmal über den Horizont schweifen. Heute hat er nichts geschossen. Die Rehe sind noch in der Schonzeit, die Wildschweine haben sich nur für einen sehr kurzen Moment blicken lassen, bevor sie wieder im Maisfeld untergetaucht sind. Zu kurz, um erkennen zu können, ob da ein Muttertier mit Jungen oder ein vorlauter junger Keiler steht. Doch trotz allem, Felix Kohl scheint zufrieden zu sein. Er sichert sein Jagdgewehr, schultert es und klettert den Hochsitz herunter. Auf der Leiter hält er noch kurz inne, atmet mit einem tiefen Zug die klare Waldluft ein und steigt dann ganz hinab, um nach Hause zu fahren.