von Selina Temizsoyoglu

Der Vogelpark Groß-Rohrheim

Der Kies unter den Schuhen knirscht, der Wind lässt die letzten Blätter an den Bäumen rascheln. Hier und da hört man den Gesang exotischer und heimischer Vögel. Die Umgebung strahlt vor Ruhe. Und plötzlich ist man in der Anwesenheit einer Gottheit.

„Der Kookaburra stammt aus Australien“, erklärt Lukas Diehl, erster Vorsitzender des Vogelschutz- und Zuchtvereins in Groß-Rohrheim. „Er wird von den Ureinwohnern Australiens, den Aborigines, als Gott angesehen.“, fügt er hinzu, während er sichtlich begeistert neben der länglichen Voliere steht. Unscheinbar wirkt er, der Vogel. Sein flauschiges Gefieder ist hauptsächlich in Weiß gekleidet. Als Farbtupfer fallen seine dunkelbraunen Flügel sowie drei dunkelbraune Streifen, die von seinen Augen ab wie ein Helm horizontal zum Hinterkopf reichen auf. Auch sein kurzer Schnabel ist in einen dunklen Braunton gefärbt.

Obwohl dieser kleine Vogel still und leise auf einem dicken Ast im Käfig sitzt, ist seine Stimme kaum zu überhören. Der Ruf des Kookaburra ähnelt nämlich dem Gelächter eines Affen. Lukas hat es aufgenommen und spielt es direkt neben dem Vogel ab. Sofort fühlt man sich in die Tiefen des Dschungels versetzt. Es scheint gerade so, als käme das Lachen von überall. So majestätisch wie es klingt, wirkt es aber auch unbehaglich und eindringlich. Dem Gott selbst stört es nicht, er sitzt immer noch friedvoll auf dem Ast. Es scheint so, als ob er das, was um ihn herum passiert, einfach ignoriert.

Der Beginn einer Mission

Der Vogelschutz- und Zuchtverein wurde bereits 1953 gegründet. Damals gab es den Vogelpark noch nicht. Die 10.000 Quadratmeter große Anlage selbst entstand im Jahr 1977. Die Züchter wollten hier die Besucher des Vogelparks in den Vogelschutz miteinbeziehen. Vieles ist heute noch im Originalzustand, wie das Vereinshaus, das man zuerst sieht, wenn man das Grundstück betritt. Es ist ein längliches, hellgelb gestrichenes Haus. Treppen führen auf eine einladende Terrasse. Im Sommer und Herbst wird sie hergerichtet für das alljährliche Park- und Oktoberfest, was der Verein selbst organisiert. Nicht nur das Vereinshaus, auch einige Gehege wie das der europäischen Eulen sind seit der Gründung unverändert.

Die Mitglieder des Vereins haben eine Mission. „Wir wollen die Besucher hier näher an die Natur bringen“, verdeutlicht Lukas. Das erreichen sie zum Beispiel, indem sie Schilder an die Gehege und Voliere anbringen, wie das an der Voliere der Aras. Sie befindet sich gleich am Anfang des Vogelparks, direkt gegenüber vom Entenareal, wo sich Enten und Pfaue zugleich an einen großen Teich versammeln.

Zwei Aras ruhen auf einem dicken Ast im Käfig. Sie starren Lukas neugierig an, verdrehen ihren Kopf etwas nach links. Lukas tritt näher, direkt vor das Informationsschild. Es informiert über allgemeine Fakten sowie den Schutzstatus des Tieres. „Fast alle Tiere, die wir hier ausstellen, sind in ihrem natürlichen Lebensraum stark bedroht“, betont er, sein Blick auf den dunkelrot-gefiederten Ara gerichtet.

Die Aras stammen aus Südamerika, das stark von dem Vogelschwund betroffen ist. Laut der Tierschutzorganisation Birdlife International sind in den vergangenen Jahrzehnten insgesamt acht Vogelarten ausgestorben. Allein fünf davon stammen aus Südamerika. Zu den ausgestorbenen Arten zählt auch der Spix-Ara, der zu der gleichen Familie der Papageien zählt, die im Groß-Rohrheimer Vogelpark anzutreffen sind. Doch nicht nur in Südamerika, sondern auf der ganzen Welt sind viele Vogelarten vom Aussterben bedroht.

In Deutschland sind vor allem Agrarvögel gefährdet. Dem nationalen Vogelschutzbericht zufolge haben sie seit 1980 um fast 35 Prozent abgenommen. Laut Lars Lachmann, Vogelschutzexperte der NABU, sind das über zehn Millionen Vogelbrutpaare, die es heute nicht mehr gibt.

Auch in Groß-Rohrheim und Umgebung hat sich die Lage der Vogelwelt drastisch verschlimmert. „Wenn man sich die Vogelwelt hier anschaut, sieht man, dass die Artenvielfalt sehr stark abnimmt. Vögel wie die Nachtigall und Mönchsgrasmücken sind fast ausgestorben“, erklärt Lukas.

Seine Schritte stoppen vor dem Nandugehege. Es ist groß und mit einem hohen Zaun gesichert. Sobald die Nandus ihn sehen, kommen sie an den Zaun gelaufen und bleiben neugierig vor Lukas stehen, als ob sie Futter erwarten.

Nandu-Vögel
Die aus Südamerika stammende Laufvogelart kann bis zu 60 km/h schnell werden.

Gründe für den Vogelschwund hier sind Probleme bei der Nahrungssuche und fehlende Nistplätze sowie der immer kleiner werdende Lebensraum. Durch die Abholzung und das Austrocknen der Wälder in Deutschland gibt es kaum Nistmöglichkeiten für Brutvögel und durch die Monokulturen gehen immer mehr Nahrungsquellen verloren.

Der Vogelschutz und -Zuchtverein kämpft seit Jahren dagegen an. „Eines der Standbeine, die wir in Sachen Vogelschutz haben, sind unsere Nistkästen“, erläutert Lukas mit stolzer Stimme. Insgesamt haben sie im Groß-Rohrheimer Wald 120 Kästen verteilt.

Der Wald gibt ein trauriges Bild ab. Überall sind abgestorbene Bäume zu sehen. Es lässt sich leicht erkennen, dass sich die Lage für die Tiere dort kontinuierlich verschlechtert: „Alleine auch schon daran, dass unsere Nistkästen seit zwei Jahren alle voll sind. Das war vor zehn Jahren noch ganz anders, da mussten die Tiere noch nicht in unsere Nistkästen gehen. Heute haben sie kaum noch eine Alternative.“ Dann zeigt Lukas auf einem schmalen Baum inmitten des Schwanengansgeheges, das sich direkt neben den Nandus befindet. An der Rinde des Baumes ist ein kleiner Kasten mit einem runden Schlupfloch angebracht. Es ist einer der vielen Nistkästen, die überall im Park zu finden sind. Farblich unterscheidet er sich kaum von der unebenen Rinde, die mit bräunlich-grünen Erhebungen verziert ist. Der Nistkasten ist ein simples Häuschen mit einer terrakottafarbenen Tür. Am oberen Rand, direkt unter dem hervorstehenden steinernen Dach, liegt das Schlupfloch. Es wirkt fast so, als solle man den Kasten gar nicht sehen. Lediglich der kleine Infotext unterhalb lässt darauf schließen, dass dies eine Möglichkeit für Vögel ist, ungestört und gesichert ihren Nachwuchs zu brüten.

Entenareal im Vogelpark Groß-Rohrheim
Im Entenareal befindet sich ein weiterer Nistkasten. Dieser ist speziell für Baumläufer.

Zurzeit hat der Verein 20 Helfer, die sich um die Tiere und die Instandhaltung des Parks kümmern. Viele dieser Helfer gewann der Verein im Zuge der Pandemie. „Wir hatten 2020 eine Art Aufschwung“, erinnert sich Lukas. Die Leute interessierten sich mehr und mehr für die Natur und Tierparks. Oft waren Besucher auch so begeistert, dass sie Mitglied wurden.

Doch ein Aspekt hat sich verändert. Viele Züchter von damals gibt es schon nicht mehr. Lukas merkt auch, dass die Vogelzucht nicht mehr das ist, wofür sich junge Leute begeistern. Mit seinen 25 Jahren ist er das jüngste Mitglied im Vorstand. Auch die Standards der Tierpflege haben sich stark verändert. „Früher hat sich niemand darüber Gedanken gemacht, wie viele Vögel im Tierpark sind“, offenbart Lukas. Weil die Regeln für die Tierhaltung strenger wurden, mussten sie ihren Vogelstand im Laufe der Jahre reduzieren. Aktuell haben sie circa 300 Tiere. Auch das ist eigentlich noch zu viel für den Verein. „Wir haben eine Vielzahl an Arbeit, die geht ins Unendliche“, sagt er. Er steht inzwischen vor der Voliere der Halsbandsittiche, welche kleiner ist als die, in der größere Vögel hausen. Sie ist aber genauso liebevoll eingerichtet, mit Rückzugsorten und viel Beschäftigungszubehör. „Wenn man Vögel in Gefangenschaft hält, kann man nicht auf 100 Prozent Natürlichkeit und Auslauf gehen“, stellt er klar. Trotzdem tun sie alles, damit sich ihre Vögel auch in Zukunft wohlfühlen.

Dafür haben sie viele Pläne. Ihr Hauptziel ist es, die Nistkästen weiter zu erhalten. In Sachen Vogelschutz planen sie zudem, die Winterfütterung auszubauen, um den Tieren in Groß-Rohrheim mehr Futter bieten zu können. Für den Vogelpark selbst möchten sie Leute gewinnen, die lernen wollen, sich mit den Tieren dort auseinanderzusetzen, sich Wissen anzueignen und zu helfen.

Lukas ist jetzt wieder am Vereinshaus angelangt und hält einen Moment inne. Ein paar Meter vor ihm läuft ein blauer Pfau gemütlich entlang. Und auch der Kookaburra, der Gott unter den Vögeln, ruht noch immer friedlich mit einem Artgenossen auf dem dicken Ast in seiner Voliere.

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