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„Wenn wir aufhören etwas zu fühlen, können wir es eigentlich gleich vergessen“

In deiner Ausbildung hast du dich viel auf Musik und Kultur fokussiert. Was hat dich dazu bewegt, dich mehr mit Nachhaltigkeit zu beschäftigen?

Ich komme aus der Musik- und Kulturwissenschaft, aber bin hauptberuflich Redakteurin und Lokaljournalistin. Nachhaltigkeit hat mich schon lange persönlich interessiert, das hat auch viel mit der Prägung über die Hochschule (h_da) zu tun, wo das Thema in einigen Kursen stark implementiert wurde. Ich glaube auch, dass Kultur grundsätzlich viel mit Nachhaltigkeit zu tun hat. Viele kulturelle Erzeugnisse wie Musik und Festivals sind untrennbar mit Nachhaltigkeit verknüpft. Oder andersrum: Nachhaltigkeit durchdringt eigentlich alles.

Foto: Amanda Schulenburg

Kunstwerke und Musik sprechen uns auf einer emotionalen Ebene an und brauchen keine Fakten, um zu kommunizieren. Journalismus hingegen soll auf Tatsachen basieren – bleibt da Platz für Emotionen oder Emotionalisierung?

Sich mitreißen zu lassen und von Emotionen überschwemmt zu sein ist etwas, was wir tagtäglich durch unser Medienverhalten sowieso schon erleben. Wenn wir schreckliche Bilder, z.B. von Überschwemmungen sehen, kommen wir gar nicht umhin, emotional berührt zu werden. Ich finde, Journalismus muss diese Emotionen aufgreifen und weitergeben mit dem Ziel, etwas in der eigenen Gefühlswelt zu bewirken – natürlich ohne zu überdramatisieren oder zu skandalisieren. Aber ich finde nicht, dass Emotionen verbannt werden dürfen aus dem Journalismus, im Gegenteil: Wenn wir aufhören was zu fühlen, dann können wir es eigentlich gleich vergessen.

Hast du aus deiner Arbeit an der Dissertation etwas gelernt, was sich auf deine Berufspraxis übertragen lässt?

Grundsätzlich habe ich mich in der Dissertation viel damit beschäftigt, wie man das Thema Nachhaltigkeit erzählerisch gut transportieren kann, ohne die Komplexität zu untergraben. Dass man das Wesentliche nicht aus dem Blick verliert, aber auch anschaulich und interessant schreibt. In meinem Alltagsgeschäft versuche ich, meine Themen auch immer in Richtung Nachhaltigkeit mitzudenken. Wenn ich beispielsweise über eine Restaurantneueröffnung schreibe, frage ich nach, ob es ein Nachhaltigkeitskonzept gibt. Ich finde es außerdem wichtig, auch bei lokalen Themen Zeit zu investieren, klimarelevante wissenschaftliche Erkenntnisse zum Kontext zu recherchieren.

Kurzgesagt: Wie kann man das Thema Nachhaltigkeit im Journalismus vermitteln?

Ich glaube, dass man einen Weg finden muss, Nachhaltigkeit sehr verständlich, allumfassend, und trotzdem nicht zu vereinfachend zu vermitteln. Das hängt auch damit zusammen, für welches Medium ich arbeite und an wen ich mich richte. Da gibt es nicht den einen Weg. Aber grundsätzlich bin ich zu dem Schluss gekommen, dass Nachhaltigkeitsjournalismus relativ haltungsstark sein darf, weil Nachhaltigkeit einfach ein Thema ist, bei dem eine Haltung unerlässlich ist.

Foto: Amanda Schulenburg

Die Debatte über Subjektivität oder Neutralität im Journalismus ist ja bekannt. Du findest also, Journalist*innen müssen Haltung zeigen?

Ja, wobei journalistische Prämissen nicht bis ins Unendliche untergraben werden dürfen. Da gibt es aus meiner Sicht ganz klare Regeln, wenn beispielsweise Fiktion nicht als solche gekennzeichnet wird. Aber wenn es um die Subjektivität geht, finde ich durchaus, dass Nachhaltigkeitsjournalismus eine Denkrichtung anstoßen kann. Ich glaube gerade beim Klimawandel und bei Nachhaltigkeitsthemen können wir es uns nicht leisten, neutral zu bleiben.

Also würdest du Journalismus auch in Richtung Aktivismus einordnen?

Aktivismus ist natürlich ein starker Begriff. Ich finde aber schon – in Aktivismus steckt das Wort aktiv. Und das ist es, was wir sein müssen: Nachhaltigkeitsjournalist*innen, die aktiv daran mitzuwirken, dass sich etwas verändert. Ich persönlich finde, das gehört zum Berufsethos dazu.

Welche Rolle spielt Sprache bzw. einfache Sprache bei der Vermittlung von Nachhaltigkeitsthemen?

Sprache, die ganz auf das Notwendigste runtergebrochen ist, kann natürlich auch zu vereinfachend sein. Einige Expert*innen aus der Branche, die ich für meine Arbeit interviewt habe, meinten dazu: Wir müssen den Bezug zur Natur und zur Umwelt wiederfinden. Und dafür brauchen wir eine lebendige, anschauliche Sprache mit vielen Adjektiven und Ausschmückungen. Das steht natürlich in einem Kontrast zu einer klaren „no nonsense“-Sprache, die Fakten klar darlegt und die auch funktionieren kann. Da muss man sich als Journalist*in entscheiden, welche Form man benutzt und welche Sprache das Zielpublikum spricht.

Du erforschst in deiner Arbeit neue Möglichkeiten und Schreibformen im Journalismus. Was gibt es da aktuell Spannendes?

In der Dissertation habe ich gemerkt, dass es ganz viele Formen gibt, bei denen sich Autor*innen noch nicht so richtig trauen, extremer zu werden. Einige Experimente fallen aber schon positiv auf, zum Beispiel der Beitrag „#HansImGlück“ von Hans Rusinek aus dem Magazin transform. Da wurde das Märchen von Hans im Glück mit der Kernaussage „Am glücklichsten ist man mit wenig“ auf den Sachverhalt Mobilität übertragen. Das war gut gemacht, weil auch gleichzeitig die Sprache der Brüder Grimm beibehalten wurde. Es ist eine Form, die viele mal als Kind gelesen oder gehört haben, die kurzweilig und unterhaltsam ist und einfach einen neuen Blick auf Dinge werfen kann. Ziel ist nicht, dass alle Themen auf einmal als Märchen daherkommen, aber ich glaube es hilft, Dinge anders zu sehen. Es ist essenziell, dass man sich da öffnet und nicht zu sehr an den starren Strukturen festhält.

Würde gerade Nachhaltigkeitsjournalismus von mehr literarischen Elementen profitieren?

Ich glaube, es ist kein Geheimnis, dass Menschen sich schon immer Geschichten erzählen und dass wir uns in einer Dramaturgie verpackte Informationen besonders gut merken. Um aufs Beispiel Märchen zurückzukommen: Diese merken wir uns ja deshalb so gut, weil sie spannend erzählt sind und da eine Geschichte, eine Moral, eine Aussage ist.

Literarischer Journalismus ist eine journalistische Form, die sich literarisch-kreativen Stilmitteln bedient und sehr subjektiv ist. Literatur und Journalismus überschneiden sich schon in ganz klassischen Formen wie der Reportage, in der sich erzählerische Elemente befinden.

Gibt es denn eine Form, die sich besonders für Nachhaltigkeitsthemen eignet?

Die eine Form, die alles verändern wird, gibt es nicht. Ich glaube, dass der Wandel des Journalismus hin zu einem Nachhaltigkeitsjournalismus sich auf ganz vielen Ebenen abspielt. Medienunternehmen müssen ihre Mitarbeitenden weiterbilden und akzeptieren, dass man auch neue Formen implementieren kann. Im Arbeitsalltag muss außerdem die Zeit dafür da sein. Es muss sich auch im Sinne vom ökosozialen Wandel und Arbeitszeitmodell etwas tun, da hängt ganz vieles miteinander zusammen.

Denkst du es ist sinnvoll, ein extra Ressort für Nachhaltigkeit zu haben?

Einerseits könnte Nachhaltigkeit mit einem eigenen Ressort mehr Sichtbarkeit und einen Stellenwert bei der klassischen Zeitungsleser*innenschaft bekommen. Andererseits müsste es das aber nicht geben, weil Nachhaltigkeit sowieso in allen Themen stecken sollte. Bisher ist es allerdings noch ein Wunschdenken, dass Nachhaltigkeit in alle Themenbereiche implementiert wird.

Als Lokaljournalistin bei der VRM kennst du das stressige Alltagsgeschäft von Tageszeitungen. Gibt es überhaupt Platz für experimentelle, neue Formen im Lokaljournalismus?

Lokaljournalismus ist natürlich restriktiver als Magazinjournalismus, wo man Zeit hat, ein Thema über einen längeren Zeitraum zu recherchieren und sich Erzählformen aktiv erdenken kann. Aber auch im Lokalen können kleine Elemente eingebaut, Brücken geschlagen und das Thema Nachhaltigkeit mitgedacht werden. Zu erwarten, dass in jedem Ressort auf einmal ein experimenteller Text erscheint, ist vielleicht noch unrealistisch – aber das ab und zu mal einzustreuen und sich das Feedback aktiv einzufordern, halte ich für sinnvoll.

Ich glaube, dass erzählerischer, kreativer Nachhaltigkeitsjournalismus, um sich überhaupt erstmal zu entwickeln und Akzeptanz zu entwickeln, Raum braucht und den Raum gibt’s in der Tageszeitung eher nicht.

Interview: Amanda Schulenburg (das Gespräch wurde im Februar 2023 geführt)


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