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„Die Frage der Nachhaltigkeit stellt sich auch für den Journalismus selbst“, sagt Roy Fabian. „Die Branche muss Ansätze finden, um sie zu lösen“ – und sich wie der Phönix aus der Asche neu zu beleben. (Quelle: flickr.com, Steven Ritzer, CC BY-ND 2.0)

Von Roy Fabian

„Der Klimawandel ist nicht die Geschichte unserer Zeit“, sagte der Wissenschaftsjournalist Andrew Revkin einmal. „Der Klimawandel ist nur ein Teil von ihr. Sie besteht darin, dass wir anfangen, erwachsen zu werden auf einem endlichen Planeten, und dabei überhaupt erst bemerken, dass er endlich ist.“

Wir. Das meint ihn und sie, Dich und mich. Politik und Zivilgesellschaft, Wissenschaft und Wirtschaft. Und natürlich den Journalismus, die Storyteller-Maschine schlechthin. Was bemerkt sie von der Geschichte unserer Zeit?

Die Ausgangsbedingungen scheinen nicht die schlechtesten zu sein: Aktualität, Konflikt, Relevanz, Kontinuität – Klimawandel & Co. erfüllen eine ganze Reihe der klassischen Nachrichtenfaktoren. Weswegen die Erderwärmung, die Energiewende, der Artenverlust, die Krise des Finanzsystems, die Bevölkerungs- und Ernährungsfrage oder auch Konsumkritik und der Wunsch nach Entschleunigung längst Themen des von Print-, Rundfunk- und Online-Medien getragenen Diskurses sind. Reicht das?

Kritiker bemängeln, dass die Geschichte unserer Zeit journalistisch zu sporadisch, zu diffus, zu isoliert, zu unter- oder aber zu überkomplex bearbeitet werde. Das mag daran liegen, dass es ihr an Eindeutigkeit, an Konsonanz, an klaren Verhältnissen mangelt. Und dass ihre Einzelthemen oft nicht als solche erkannt werden, es gewissermaßen an einer gedanklichen Einbettung in den größeren Zusammenhang fehlt.

Dabei ist ein theoretischer Überbau vorhanden, der sie miteinander verbindet: Nachhaltige Entwicklung. Oder auch: Nachhaltigkeit. So wird die Leitlinie unseres „Erwachsenwerdens“ immer wieder etikettiert. Es ist ein ödes Wort und überdies – wen wundert es – in seiner inhaltlichen Bedeutung sowie seiner Wirkungsmacht umstritten. Nicht zuletzt unter Journalisten.

Mag ihn seine „Unsexyness“ auch für eine permanente Erwähnung in der Berichterstattung disqualifizieren, so ergibt es doch Sinn, ihn zumindest konzeptionell als hintergründige Folie für die Erzählung der Geschichte unserer Zeit zu nutzen und mit Leben zu füllen. Und natürlich auch, ihn weiter zu diskutieren. Denn einen besseren Begriff haben wir nicht.

Was genau versteht man unter Nachhaltigkeit? Gemäß dem Dreisäulenmodell drückt sie eine größtmögliche Vereinbarkeit von Ökologie, Ökonomie und sozialen sowie gesellschaftspolitischen Belangen aus. Eine Variation wie die „starke“ Nachhaltigkeit, welche die Priorität der Ökologie ausruft, erscheint zwar zunächst nachvollziehbar, denn ja, unser Planet ist endlich und damit auch die Belastbarkeit seiner Ökosysteme. Er steht jedoch unter unserer absolutistischen Fuchtel – die Rede vom Anthropozän kommt nicht von ungefähr.

Daher erscheint mir eine Trennung von Mensch und Natur, wie sie auch im ökologiefixierten Umweltbegriff vorgenommen wird, wenig sinnvoll. Nachhaltigkeit, verstanden nach dem Dreisäulenmodell, hebt diese Trennung auf, weil sie darauf abzielt, uns nicht von unserer natürlichen Umwelt auszuschließen, sondern sich mit ihr trag- und zukunftsfähig zu arrangieren. Oder anders formuliert: Sich mit ihr in Einklang zu bringen.

Auch taktisch dürfte nur eine Gleichberechtigung der drei Dimensionen zielführend sein: Das normative Zurückstellen unseres materiellen wie sozialen Wohlergehens gegenüber den ökologischen Herausforderungen, so zwingend diese auch sein mögen, birgt gewaltige Akzeptanzprobleme, die ein Fortkommen in Fragen nachhaltiger Entwicklung erschweren. Aber wer, wenn nicht wir, soll diese vorantreiben? Niemand! Also müssen wir dabei uns selbst mitnehmen.

Das heißt nicht, dass eine fundamentale Reflexion unserer Denk- und Verhaltensmuster ausbleiben darf. Im Gegenteil: Diese Muster haben, indem sie Wohlergehen nur allzu oft mit Überfluss, Verschwendung, Wachstum oder Raubbau verwechseln, die Rede von der Notwendigkeit einer nachhaltigen Entwicklung überhaupt erst aufgeworfen. Hier kommt der Journalismus wieder ins Spiel, der diese Reflexion qua seiner gesellschaftlichen Funktion anstoßen und begleiten muss. Denn es ist sein Kerngeschäft, Probleme und Phänomene sichtbar zu machen, zu strukturieren, zu erklären und einzuordnen. Die Frage ist: Wie kann das im Fall von Nachhaltigkeit geschehen?

Derzeit dominieren meiner Wahrnehmung nach zwei Pole: Auf der einen Seite der „Überforderungsjournalismus“: Er benennt die Probleme in all ihrem kolossalen Ausmaß, rüttelt auf und findet jedes Haar in der Suppe. Oft verharrt er jedoch im Abstrakten, ohne Bezüge zur Lebenswelt herzustellen oder Lösungsansätze aufzuzeigen. Den Gegenpol bilder der „Lösungsjournalismus“: Anhand konkreter Erscheinungsformen wie Unternehmen, Projekte und Einzelpersonen präsentiert er Auswege aus der Misere, inspiriert damit und schafft Aufbruchstimmung – nicht selten ohne die Geschichte in die übergeordneten Hintergründe einzubetten oder die nötige Distanz und Diskussion einzubringen.

Ist an dieser Polarisierung etwas auszusetzen? Guido Mingels resümierte kürzlich im Spiegel am Beispiel des wissenschaftlichen Diskurses: „Es wird auch in Zukunft Pessimisten brauchen, um die Probleme zu erkennen. Und Optimisten, um sie zu lösen.“ Wahrscheinlich stimmt das. Sinnvoller erscheint es mir aber, beide Typen zu vereinen, um von ihren jeweiligen Stärken zu profitieren. Indem man mit dem Metathema Nachhaltige Entwicklung spielt, es in seine drei Dimensionen sowie Einzelthemen aufspaltet, ohne deren Verknüpfung unter den Teppich zu kehren. Indem man es global wie lokal denkt, bei all dem Großen das Kleine nicht vergisst. Und indem man Erzählstränge entwickelt, die aufdecken und erläutern, aber auch ermutigen und sich in den Alltag übersetzen lassen.

Ein paar – nicht zwingend neue – Beispiele:

Klimawandel: Welche Folgen hat die Erderwärmung aus welchen Gründen auf hiesige Küstenstädte? Auf die Produktion land-, forst- und fischwirtschaftlicher Güter oder die Wasserversorgung? Inwiefern verstärkt sie bereits bestehende Problemlagen mit anderen Ursachen wie zum Beispiel Landnutzung oder Überfischung? Welche Lösungsstrategien stehen dem gegenüber und wie werden diese von maßgeblichen Akteuren bewertet?

Arten- und Biotopschutz: Welche Ökosystemfunktionen und -dienstleistungen liegen Tieren, Pflanzen und deren Lebensräumen zugrunde? Wie äußert sich das in konkreten Fällen und wie lässt sich das monetär beziffern? Wer profitiert davon und wer nicht? Was folgt daraus im Bezug auf neue Anreizsysteme und deren Umsetzung?

Bevölkerungsentwicklung & Urbanisierung: Welche ökologischen, wirtschaftlichen und sozialen Auswirkungen haben die beiden Megatrends lokal, regional und international (Stichworte: Ernährung, umweltbedingte Migration, Versiegelung, Ghettoisierung)? Wie sind Kommunen, Städte und Staaten darauf vorbereitet? Welche wissenschaftlichen und zivilgesellschaftlichen Konzepte gibt es dafür? Wie werden diese bereits realisiert und welche Effekte sind damit verbunden, beziehungsweise könnten damit verbunden sein (Stichworte: ökologische Intensivierung, ökologische Stadtentwicklung)?

Gleichzeitig werden die Bedingungen dafür, dies im journalistischen Alltag umzusetzen, immer prekärer: Einschnitte in finanzielle und zeitliche Budgets sowie die Auflösung traditioneller Kommunikationsformen erschweren die angemessene Recherche, Aufbereitung und Präsentation von Nachhaltigkeit und ihrer Einzelthemen.

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Der Journalismus verändert sich rasant. Man könnte sagen, er geht auf eine Reise – Ausgang: ungewiss. (Quelle: Harri Web, flickr.com, CC BY-NC-ND 2.0)

Der Journalismus hat also ebenfalls ein strukturelles Nachhaltigkeitsdefizit. Deshalb braucht es angepasste Geschäftsmodelle um Risiken organisatorisch wie ökonomisch zu streuen. Ansätze bieten Modelle wie das der Krautreporter oder die aus den USA stammende Idee eines gemeinnützigen Non-Profit-Journalismus. Auch die Diskussion um eine weniger an Klicks als an Verweildauer orientierte Online-Qualitätsberichterstattung, die unter Umständen höhere Werbeerlöse generieren kann, liefert wertvolle Hinweise.

Letzteres zeigt: Es geht auch um Inhalte. Mögen die Macher großer Leitmedien auch darauf verweisen, dass Nachhaltigkeitsthemen schlecht laufen – der Erfolg von Publikationen wie Landlust, das Aufkommen von Nachhaltigkeits-Zeitschriften wie enorm oder Zeo2 sowie die „grünen“ Blogs der ZEIT oder der New York Times legen nahe, dass sich ein relevanter Teil des Medienpublikums durchaus für Natur, Gerechtigkeit oder Entschleunigung interessiert. Einschlägige Studien zeigen überdies, dass dieser Befund insbesondere für die nachwachsende Nutzergeneration der 14- bis 25-Jährigen gilt.

Die Bearbeitung der genannten Themen erfordert zweifellos Risikobereitschaft, Zusammenarbeit und einen langen, gewissermaßen nachhaltigen Atem – sowie Erzählmethoden, die das Publikum einfangen. Auch hierfür existieren zahlreiche Ansätze, von einer zielgruppengerechten Ansprache über den Multimedia-Journalismus bis hin zur traditionellen Nachrichtenberichterstattung, wie sie etwa Michael Haller unlängst als Rettung der kriselnden Tageszeitungen ausgemacht hat.

Übrigens: Meinung oder Emotionalisierung dürfen dabei ein Rolle spielen – wenn sie sich auf Kommentarspalten, Essays und vergleichbares beschränken. Davon abgesehen halt ich aber wenig von der vieldiskutierten Rolle des „Journalisten als Aktivisten“. Denn ein solcher Ansatz verspielt meines Erachtens das Grundkapital des Journalismus: Vertrauen in seine Seriosität. Einer kürzlich veröffentlichen GfK-Umfrage zufolge gehören Journalisten jedoch ohnehin zu den am wenigsten vertrauenswürdigen Berufszweigen, auch die Berichterstattung zum Ukraine-Konflikt hat jüngst die Debatte um die „Manipulation der Medien“ neu entfacht.

Daher gilt aus meiner Sicht gerade für die verwickelte Gemengelage der Nachhaltigkeit, was Ulrich Brenner, langjähriger Leiter der Deutschen Journalistenschule, dazu äußerte: „Ich finde, man darf seinen Lesern ruhig vermitteln, dass es schwierig ist, eine eindeutige Position zu beziehen. Die Haltung, dass der Journalist allwissend ist, lehne ich ab (…).“ Denn: „Leser wollen nicht indoktriniert werden.“

Dies ist zweifellos ein Balanceakt. Aber der Journalismus muss sich weiter der nachhaltigen Entwicklung annehmen . Fair und wahrhaftig, ausdauernd und offen, experimentierfreudig und originell. Eben weil die Nachhaltigkeit die Geschichte unserer Zeit ist. Und weil sie Journalisten trotz allem Spaß machen sollte. Denn sie sind nicht nur Beobachter, Erklärer, Meinungsbildner, sondern auch immer noch das kreative Schwungrad des öffentlichen Diskurses. Die professionellen Geschichtenerzähler eben.

Roy Fabian

Roy Fabian (Quelle: privat)

Roy Fabian arbeitet als freier Journalist und Autor für Print- und Onlinemedien und beschäftigt sich dabei unter anderem mit Fragen der Biodiversität, Ökologie, Stadtentwicklung und Landwirtschaft. Mehr unter www.royfabian.de.

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