Suche
Close this search box.

Geschichten von Sein und Stein: Von Hutzelweg und Habichtsflug – eine Wanderung über die Neutscher Höhe

Im Internetlexikon wird sie als Gebirgspass beschrieben, was ich für etwas übertrieben halte im Fall einer Anhöhe von rund 360 Metern, die eher ein weitgezogenes Hochplateau darstellt – ein wunderbares jedoch, nicht nur, weil hier vor 2000 Jahren die Römer schon   Waren herfuhren, von Dieburg und aus dem Odenwald. Die Hutzelstraße und die Gegend rund um die Neutscher Höhe sind eine feine Aussichtsfläche, die der Wind gerne gefangen nimmt. Daher stand hier auch das erste Windrad Süddeutschlands.

Von dieser langgezogenen Terrasse wandert mein Blick in alle Richtungen, nirgends stellt sich ihm mehr etwas in den Weg: in der Ferne die Wolkenkratzer Frankfurt mit dem EZB-Turm, indem ein paar Zahlenmenschen jetzt gerade Tasten drücken, um Europas Finanzen zu regeln und Griechenland zu retten, angeblich. Dann schaue ich zur Pfalz, dem Donnersberg und den Windrädern, die inzwischen zur Landschaft gehören so wie es die Strommasten tun. Die Senke des Rheins zeichnet sich ab, diesig am Horizont, immer wieder schemenhaft Wälder und viel offenes Land mit langen Häuserflecken, Türmen, grünen Inseln.

Es sind von hier aus, wo ich nun stehe, nur wenige Kilometer in jedes Tal, ins Lautertal, Stettbachtal, Modautal, Mühltal – immer sind es die kleinen Bäche, die die Namen geboren haben und daran erinnern, das mit dem Wasser die Namen kommen und das Leben beginnt. Mir wird klar, obwohl ich hier schon oft war, wie zentral dieses Plateau des Odenwalds und der Bergstraße ist, dass hier alle Wege zusammenführen und wieder auseinander gehen. Mir wird jedoch auch bewusst, wie verlassen die Gegend ist, da hier abgesehen von ein paar Höfen und einzelnen Gehöften nichts ist außer Wald, Feld, Windräder und Wegkreuze.

Trauriges Land, wo zwei Landkreise sich berühren

Früher schon, als ich mit meinen Eltern zu meiner Urgroßmutter nach Schönberg fuhr, um in ihrem schiefen Haus, am Fuße des Schlosses, Kakao zu trinken, kam mir dieses Land hier traurig und verlassen vor, spätestens dort, wo   Schmalbeerbach und Wurzelbach so tun, als seien sie getrennt Orte. Hier verlaufen keine Grenzen außer der zweier Landkreise und der zwischen Siedlungen und Einsamland. Wenn wir hier durchfuhren, dachte ich, es lebten nur alte Leute mit weißen Haaren in diesen beiden Dörfern. Und war froh, wenn wir vorbeigefahren waren auf dem Weg nach Schönberg und zu Erre und Hekmit, den beiden Apfelgrundstücken meines Großvaters, die wir jährlich abernteten oder dort Akazien schlugen für den Holzofen meiner Urgroßmutter.

Greifvogelschau ohne Schließungszeiten

Denn schauen wir nach oben, ist da eine Greifvogelschau ohne Schließungszeiten: Rotmilane ziehen pausenlos über die Felder, teils so tief, das ihr rostfarbenes Gefieder uns matt anglänzt, dazu der gekerbte Schwanz und ihr schwankender und doch erhabener Flug. Turmfalken rütteln über frischer Mahd, lassen sich fallen, um wieder aufzusteigen, käbbeln sich mit einer Krähe zu zweit und verschwinden wieder in die Weite. Dazu die ewigen Boten, die Bussarde, mit denen wir vor dem Stimmbruch Unterhaltungen pflegten. Was sie sagten, wusste ich nie. Aber sie antworteten ohne Zweifel.

Und ein Habichtpaar haben wir vor dem Waschenbächer Wald zuerst gehört mit seinem grellen, zeternden Rufkonzert – und dann einen der beiden über dem Nieder-Ramstädter Boschel gleiten sehen, wobei die Habichte als Ansitzjäger keine Gleiter sind; wie muss ihm oder ihr dieser Versuch vorgekommen sein, der etwas unbeholfen wirkte und nie ins eigentliche Gleiten hineinkam durch neue Anläufe, mit denen sich der große Vogel immer wieder in die Höhe warf um dann bald wieder abzusinken. Hinter ihm öffnete sich vor unserem Blick die Rheinebene, Eberstadt, Pfungstadt, Ried, dann der Rest. Verbautes Land mit wenigen Geheimnissen, dachte ich oft. Jetzt bin ich gerade nachdenkliche und überlege, wo es sich dort zu laufen lohnte. – Torsten Schäfer

Dieser Text läuft auch auf den Seiten des UNESCO-Geoparks Bergstraße-Odenwald: http://www.geo-naturpark.net/deutsch/nachhaltigkeitsziele/Kolumne-1.php

Share on:

Related Posts

KLEINFLUSSLIEBE – mein schwarzer Gast

Das ist die Kolumne zu Natur, Zeit und Medien von Torsten Schäfer, Projektleiter bei Grüner-Journalismus, Umweltjournalist und Professor für Journalismus und Textproduktion an der Hochschule Darmstadt. In FOLGE 5 der KEINFLUSSLIEBE geht es um einen Vogel, der lange fern blieb und nun zurückgekehrt ist.

weiterlesen
Skip to content