Von Torsten Schäfer
Überfischung scheint als Themenfeld stärker abgrenzbar als etwa erneuerbare Energien oder Mobilität und Verkehr. Und in der Tat ist die Zahl der Akteure, Gesetze und Fonds auch überschaubarer, gerade auch, wenn man sich als Journalist auf die EU konzentriert, die für die nationale Fischereipolitik die Vorgaben macht. Ohne EU-Perspektive geht in der Fischereiberichterstattung also wenig, weshalb sich dieser Grundlagentext vor allem auch mit den EU-Rahmenbedingungen auseinandersetzt. Diese hängen aber direkt und indirekt mit vielen anderen Themen aus dem Feld der Meere, aber auch dem gesamten Kosmos der Nachhaltigkeit zusammen.
Denn die EU-Fischerei findet auch vor Afrika statt, schafft dort Probleme (gutes Thema für immer neue Recherchen) und muss daher mit Entwicklungs- und Flüchtlingspolitik zusammengedacht werden. Denn einige der Flüchtlinge, die nach Europa kommen, sind Fischereiflüchtlinge – Menschen, die ihren Beruf verloren haben, weil Trawler ihre Fanggründe ausgebeutet haben. Solche Zusammenhänge werden medial selten hergestellt, die ZEIT tat dies nach dem Flüchtlingsunglück vor Lampedusa.
Die Dimensionen des Feldes
Überfischung ist zentral für Ernährung und Konsum, vor allem in Schwellen- und Entwicklungsländern, wo Fische die Hauptquellen für Protein sind. Die Fischerei tangiert auch Fragen des Naturschutzes und der Biodiversität, wenn es um das befürchtete Aussterben einzelner Arten wie des Blauflossenthunfischs geht, der vor der Weltartenschutzkonferenz CITES 2010 keinen Schutz durch ein Handelsverbot erhielt. Über kaum eine Art wird so oft gesondert berichtet wie über den Fisch, der auch Roter Thun genannt wird. Wegen seiner massiven regionalen Gefährdung (etwa im Mittelmeer), aber auch wegen seiner Größe und Schnelligkeit, ist er für die mediale Fischereiberichterstattung zu einer Art Symbol der Überfischung generell geworden; auch Artikel, die Fischerei generell thematisieren sind mit Rothen Thuns bebildert.
Die Art, die die teuerste der Welt ist und in Japan Rekordsummen erzielt, ist Ware eines Milliardenmarktes, der illegale Machenschaften und schwarze Fischereipraktiken produziert. Daher hat sich auch das renommierte „International Consortium of Investigative Journalists“ dem Thema angenommen und ihm viele Reportagen und Analysen gewidmet – ein Höhepunkt des internationalen Umwelt- und Fischereijournalismus. In den Texten wird die Überfischung der Art aus verschiedenen Perspektiven deutlich, wirtschaftlich, ökologisch, aber auch sozial – ganz im Sinne des Nachhaltigkeitsgedankens.
Überfischung ist generell Ausdruck der Krise einer weltweiten Industrie, womit das Thema einen stark wirtschaftlichen Charakter hat – auch, weil 10 bis 12 Prozent der Weltbevölkerung laut WWF direkt oder indirekt vom Fischfang abhängig sind, da er den Großteil ihrer Einkünfte ausmacht. Ökonomisch ist das Thema auch, wenn seine neuere Spielart, die Aquakultur, ins Zentrum rückt. Hier sind besonders viele neue journalistische Themen zu holen.
Fischbestände werden aber offenbar auch durch den Klimawandel beeinflusst, wie Studien aus Kanada und des UN-Umweltprogramms zeigen. Dessen Auswirkungen auf die Meere wie etwa deren Versauerung haben auch indirekt einen großen Einfluss auf die Ressource Fisch. Das Themenfeld hat ebenfalls Bezüge zur Energiewende, da immer stärker die Frage in den Vordergrund tritt, wie auf und am Meer Energie gewonnen werden kann – mit Offshore-Windkraftwerken, aber auch mit Gezeiten- und Wellenkraftwerken. Eine aktuelle Idee, Fischzucht und Windkraft zu kombinieren, berichtet der Blog „Grüne Geschäfte“ auf Zeit online.
Wenige Fachjournalisten, neue Kampagnen
Fischerei und Überfischung sind erst in den vergangenen fünf bis sieben Jahren zu einem größeren Medienthema geworden, was auch daran liegt, dass die Fischereiforschung, die ähnlich wie beim Klimathema viele Anlässe für Journalisten liefert, selbst eine junge Disziplin ist. Ihre Entwicklung sowie die gesamte Problematik der globalen Überfischung lassen sich wunderbar im Buch „The end of the line“ (Deutsch: „Fisch kaputt“) des britischen Fachjournalisten Charles Clover nachlesen, der dazu auch einen vielbeachteten Dokumentarfilm mit gleichem Titel produziert hat. Auch andere neuere Bücher und TV-Dokumentationen geben dem Thema Aktualität. Clover, der Umweltredakteur beim Daily Telegraph war und in als Kolumnist für die Sunday Times arbeitet, zählt zu den wenigen Fischereifachjournalisten. In Deutschland zählen z.B. die Kollegen Sven Michael Veit, taz-Korrespondent für Hamburg und den Norden, und Peter Kaiser (Deutschlandfunk) zu Journalisten, die regelmäßig über die Thematik berichten. Auch Moritz Koch und Katrin Blawat (beide Süddeutsche Zeitung) berichteten häufiger.
Für Öffentlichkeit haben neben der Wissenschaft auch die gezielten Fischerei-Kampagnen von NGO wie Greenpeace und WWF beigetragen. Neuere spezialisierte Verbände, die allein gegen Überfischung kämpfen wie die Coalition for fair fisheries arrangements (Schwerpunkt EU-Fischerei in Übersee) oder die Shark Alliance sind hinzugekommen (siehe Artikel zu Quellen). Druck machen aber auch private Kampagnen wie die deutschen www.fischgruende.de (gute und breit ausgelegte Quelle) oder der Fishfight des britischen Journalisten Hugh Fearnley-Whittingstall, der den Fischkonsum in Großbritannien spürbar beeinflusst – und nun in Deutschland mit Koch Tim Mälzer einen Mitstreiter hat. Zuletzt sorgte eine Kampagne für Aufsehen, bei der sich Stars nackt mit Fischen zeigten – das Thema wird sexy.
Die Situation der Weltfischerei
Doch wie ist die aktuelle Situation? Und wann wurde Überfischung ein Medienthema? Die Lage hat sich über Jahrzehnte mit dem Aufkommen der industriellen Fischerei verschärft. Die Warnungen aus der Forschung fanden in Medien aber erst stärker Gehör, als Anfang der 1990er Jahre durch massive Überfischung der Kabeljaubestand vor Neufundland zusammenbrach. Viele Appelle blieben seitdem ungehört: Von den globalen Fischbeständen waren 2012 laut FAO knapp ein Drittel überfischt sowie mehr 57 Prozent bis an die Grenzen ausgebeutet. Das sind nur die offiziellen Zahlen, die manche Forscher hinterfragen.
Die Fischereiwirtschaft, in der rund 500 Millionen Menschen arbeiten, leidet selbst unter den Missständen, wie eine Studie der Weltbank von 2011 zeigt: Durch die schwindenden Fischbestände gehen der Branche jährlich mindestens 50 Milliarden US-Dollar verloren; für die vergangenen drei Jahrzehnte summiert sich der Verlust auf zwei Billionen Dollar. Forscher gehen auch davon aus, dass drei Viertel der globalen Fischbestände mehr Geld abwerfen würden, wenn sie nachhaltig, also schonender und kontrollierter, bewirtschaftet würden.
2012 stieg der globale Fischkonsum auf Rekordwerte: 18,4 Kilogramm pro Kopf laut FAO. Hiervon kommt allerdings ein immer höherer Teil aus der Aquakultur, die schon mehr als 40 Prozent der Fischbedarfs liefert. Die Fänge der Meeresfischerei stagnieren hingegen, und das schon seit Mitte der 1990er Jahre – trotz stärkerer Motoren, größerer Schiffe und besserer Netze, in die massiv investiert wurde. Die Fischerei wird zum Verlustgeschäft, weil der Rohstoff schwindet, die Produktion aber unvermittelt weiterläuft. Das macht auch eine Studie kanadischer Forscher deutlich, die sie SZ berichtet. Nach ihr könnte Meeresfisch bis 2048 so selten und daher teuer sein, dass sich ihn nur noch die wenigsten leisten.
Die Gründe für die Überfischung sind ökonomische Gier und politisches Versagen. Zwar gibt es seit vielen Jahren Fangrichtlinien der Welternährungsorganisation, aber keine der 53 größten Fischfangnationen hält sie ein; 34 der Länder erfüllen nicht einmal vierzig Prozent der Kriterien, wie die bereits angeführte Studie der Weltbank zeigt. Und noch immer blüht die illegale Fischerei: Geschätzte 2700 Trawler profitieren von Lücken im Seerecht und fehlenden Kontrollen. Ein Drittel aller Fänge gehen wohl auf das Konto der illegalen und unkontrollierten Fischerei (IUU).
Der Stand der EU-Reform Anfang 2014
Bleibt die Frage, was getan werden kann. Schärfere Kontrollen, höhere Strafen, Schutzgebiete und Fangverbote für bedrohte Bestände – das und vieles mehr fordern Umweltverbände und Forscher seit Jahren. Die EU hat mit ihrer weltweit beachteten Fischereireform im Mai 2013 einen wichtigen Schritt unternommen; das Nachhaltigkeitslexikon fasst den Stand zusammen. Spiegel online meldete:
„Künftig sollen bei der Festlegung der Fangquoten die Ratschläge von Experten stärker berücksichtigt werden. EU-Staaten sollen auch ihre Fangflotten verkleinern. (…) Außerdem soll der sogenannte Beifang verringert werden: Jedes Jahr landen in den Netzen fast zwei Millionen Tonnen Fisch, die wieder ins Meer geworfen werden.“
Damit war einiges erreicht, es gab Lob von allen Seiten. Die wichtigen neuen Regeln für die Subventionen, den Europäischen Fischereifonds (EFF), verhandelten Parlament, Kommission und EU-Ministerrat aber parallel, was Medien teils verschwiegen und so die neue Verordnung als alleiniges Reformelement dastehen ließen. Ein Beispiel dafür ist der Artikel „Der Hering ist sicher“ aus der ZEIT, der keinen Bezug zum Fischereifonds herstellt.