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Slow Media – Eine Einführung

4. Zeit und Werte im Journalismus

Anspruchsvolle journalistische Medien wie Slow Media sind meritorische Güter: Sie sind gesellschaftlich und demokratietheoretisch wünschenswert, aber nur bedingt marktgängig und transparent hinsichtlich Preis- bzw. Geschäftsmodelle (Entgelte, Gebühren, soziale Zuwendungen, Werbung, Daten) und Qualität. Auch deshalb gibt es z.B. im Rundfunkbereich private und öffentlich-rechtliche Anbieter. Eine Umsetzung der vorgeschlagenen Kriterien für Slow Media stößt zudem heute auf nicht sehr förderliche Rahmenbedingungen. Angesichts der insgesamt sinkenden Einnahmen für publizistische Medien (bei steigenden Technikausgaben) sind die Arbeitsbedingungen im Journalismus für viele prekär. Andere Trends sind die Glaubwürdigkeitskrise des Journalismus und die gesellschaftliche Aufregung in den Echoräumen von Social Media. Gleichzeitig suchen immer mehr Menschen Orientierung im Medien- und Meinungsdschungel, was paradoxerweise die Rolle der Leitmedien stärkt – und die der Folgemedien schwächt. Angesichts der weit verbreiteten medialen Hysteriewellen in Social Media entsteht nach Pörksen ein Nachrichten- und Faktizitätsvakuum. Nach seiner Einschätzung müssen Menschen wieder lernen, Informationen einzuschätzen. Zudem müsse die Medienkommunikation wieder entschleunigt werden: „Information ist schnell – Wahrheit braucht Zeit“.

Zeit und Slow Media sind im Journalismus und in der Forschung dazu noch keine eigenständige Themen. Ältere Untersuchungen von Weischenberg et al. (2006) weisen darauf hin, dass der Zeitaufwand für Recherche schon seit längerem sinkt, während er für Technisches und Organisatorisches steigt. Besonders problematisch ist die Arbeitsbelastung bei Freien Journalisten, die ihre Zeit zwar weitgehend selbst einteilen können, aber im Durchschnitt schlechter bezahlt werden als fest angestellte Journalisten: „Viele freie Journalisten haben das Gefühl, ständig im Dienst zu sein. Nur die wenigsten schaffen es, Arbeit und Privatleben voneinander abzugrenzen.“ (Isabelle Buckow 2015).

Ein anderer möglicher Beitrag der Journalismusforschung zu Slow Media ist der philosophisch und spirituell ausgerichteten Ansatz von Claus Eurich (2011), der einen integralen Journalismus durch Achtsamkeit vorschlägt. Grundlage ist eine „bewusste, intentional aufmerksame, wache und respektvolle Grundhaltung gegenüber allen Wahrnehmungen und Bewusstseinsinhalten.“ Als Leitwerte schlägt Eurich vor: Wahrhaftigkeit, Geist des Nichtverletzens, Empathie, Hören, Dialog statt Debatte, Ambiguitätstoleranz (Bereitschaft, Standpunkte zu überdenken und ständig zu lernen) und Kontextualität.

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Aber muss bei Slow Media nicht unterschieden werden zwischen Nachrichten- und Hintergrundjournalismus? Ja, natürlich lebt Nachrichtenjournalismus von Aktualität, Prägnanz und Schnelligkeit. Aber auch im aktuellen Nachrichtenjournalismus muss professionelle Qualität als entscheidendes Abgrenzungskriterium zu nicht-journalistischen Angeboten im Internet und in Social Media gelten. Im Kontext journalistischer Werte (Wahrhaftigkeit, Unabhängigkeit etc.) sind Qualitätskriterien wie Themenkompetenz, Gegenrecherche und Einordnung etc. zentral, um langfristig glaubwürdig zu sein. Aber es ist offensichtlich, dass Slow Media seine Stärken besonders jenseits des Nachrichtenjournalismus ausspielen kann.

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