Von Torsten Schäfer
Durch die Feuilletons wabert seit zwei Jahren ein verheißungsvoller Begriff: Narration. Ohne die Kunst des Erzählens komme die politische Kommunikation, aber auch die Unternehmenskommunikation, nicht mehr aus, steht geschrieben, gerne auch mit Verweis auf das Vorbild Jeremy Rifkin. Denn der US-Autor vermag es wie wenige, die nicht immer ganz neuen Inhalte seiner neuen Werke als Erzählung zu präsentieren, die einleuchtet, anzieht, ja im besten Falle gar mitreißt.
Und auch abseits der Feuilletons hat sich die Kunst des Erzählens zu einem Trendthema entwickelt – in vielen Bereichen, sei es Erwachsenenbildung, Wirtschafts-PR, politische Öffentlichkeitsarbeit oder Journalismus. Meist unter der Überschrift des storytelling, wie etwa die „Heldengeschichte“ – eine klassische dramatische Figur, die schon im antiken Griechenland auf den Theaterbühnen funktionierte.
Es geht um die Geschichte dahinter
Für uns Journalisten lässt sich aus der Kunst des Geschichtenerzählens viel herausschneiden: kleinere Stiltipps oder auch größere Denkmustern, die enorm dabei helfen, den eigenen Stoff spannend zu vermitteln. Vor allem auch fühlender, denn das ist zentral: Es geht um Gefühl, um das, was zwischen den Zeilen steht, prägnante Szenen, die sich einprägen. Letztlich um „die Geschichte hinter der Nachricht“, wie die Erzählforscherin Friederike Hermann, Journalistik-Professorin an der Universität Eichstätt, schreibt. Gefühle sind also explizit erlaubt und erwünscht, und zwar besonders auch in den kürzeren Formen wie Bericht, Feature oder Hintergrund. Es geht nicht unbedingt um die große Reportage, die per se schon eine Erzählung ist, die Narration in den Genen hat.
Das Forschungsfeld ist jung und lebendig, immer neue Literatur erscheint zu den ressort- und themenübergreifenden Kniffen des spannenden Erzählens. Ich verfolge die Entwicklung als Vorbereitung für journalistische Seminare, die ich gebe. Daher stelle ich mir seit einiger Zeit die Frage, ob es themenspezifische Muster des Erzählens geben kann. Gemeint sind, um es noch klarer zu machen, weder neue Online-Recherchetipps noch die schiere, kleinteilige Stilistik. Es geht um Denkmuster und Textstrukturen, eben um Funktionsideen, mit denen wir einen Stoff wie die komplexe und unscharfe „Nachhaltigkeit“ erzählen können. Heißt auch: runterbrechen, vereinfachen, erlebbar werden zu lassen. Dahinter steht der Versuch, aus dem Thema Nachhaltigkeit die „story of the century“ zu machen, von der Andrew Revkin (New York Times) spricht.
Wie genau Nachhaltigkeit erzählen
Doch wie kann das gehen? Bei der Durchsicht vieler Artikel zu grünen und grünlichen Themen, geschrieben von Kollegen oder selbst getippt, fielen einige Muster auf, die es einfacher machen, Nachhaltigkeit spannend zu machen – weil sie ein Rahmen dafür sind oder auf einer Ebene darunter Figuren darstellen, entlang derer das Thema erzählt werden kann.
- Produktgeschichte: Die Produktion eines Gutes rund um den Globus zeigen und dabei nach dem ökologischen Fußbadruck fragen. So kann man gut wirtschaftliche Nachhaltigkeitsbeiträge andenken und recherchieren. Es wird auch schon öfter gemacht. Klassiker sind der italienische Schuh oder die vielzitierte Nordseekrabbe, die in Marokko gepult wird.
- Patchwork-Erzählung: Viele kleine Geschichten oder Porträts setzen sich zu einem internationalen bunten Puzzle zusammen. Voneinander lernen und Vielfalt zeigen sind hier die Ansätze. Es geht nur im Team und bedeutet aufwändigere Recherchen, hinterlässt aber einen bleibenden Eindruck. Bei GEO International haben wir das getan, als wir über den weltweiten „GEO-Tag der Artenvielfalt“ berichtet haben.
- Selbsterfahrung/Kurs: Der Reporter nimmt an einem Kurs teil und berichtet darüber oder erprobt selbst eine neue Idee. Gelesen habe ich so etwas schon zu den Themen Wildniskurs, Urban-Gardening, Leben ohne Plastik und Stromsparen. Die Form ist sehr persönlich und ermöglicht so das Einbinden vieler kleiner Szenen, Erfahrungen und Gefühle.
- Vorbilder: Das kommt der „Heldengeschichte“ im storytelling sehr nahe. Es gibt mittlerweile viele Medienserien oder auch Bücher zu „grünen Vorbildern“, die etwas erreicht haben, etwas versuchen oder an etwas forschen. Es geht also auch für die Wissenschaftsberichterstattung. Wichtig dabei: nicht nur einzelne Vorbilder in den Fokus nehmen, sondern auch Gruppen, also Kommunen, Nachbarschaften, Vereine oder Freundeskreise. Das wird noch recht wenig gemacht, kann aber motivierender sein für die Leser als die reine Einzelfall-Geschichte. Sagen Umweltpsychologen.
- Utopien/Träume: Eine etwas seltenere, aber schöne Form. „Die Zeit“ hat ihre eigene Traumrubrik, die da als Vorbild gelten kann. Es ist eine Form des kreativen Gastbeitrags, die Raum für alles Denkbare bietet.
Diese Liste werden wir mit der Zeit vervollständigen und dann schauen, was sich daraus machen lässt. Inwieweit diese Muster wirklich zu verallgemeinern sind und was sie auf Dauer schreiberisch bringen. Eines ist sicher: Wir brauchen neue Ideen und Denkmuster, um Nachhaltigkeit besser, d.h. spannender und lebensnäher, vermitteln zu können. Denn der Stoff ist komplex, verworren, unscharf; der Begriff (vermeintlich) abgedroschen, weshalb viele Journalisten vor ihm fliehen oder dem dominanten Nachhaltigkeitsdiskurs folgen, den die Wirtschaft führt. Samt allem greenwashings, das da mit schwingt.
Um- und Neudenken im (Nachhaltigkeits-)Journalismus
Es ist, kurzum, eine kommunikative Schieflage entstanden, weil es nur selten gelingt, das Zukunftsthema unserer Zeit massentauglich zu vermitteln. Und zwar in Geschichten, die es zu Hauf liefert. Denn es geht im Kern um Menschen, die mit viel Fantasie und Durchhaltevermögen Projekte vorantreiben, um ihre und die umliegende Welt ein klein wenig zu verändern.
Ein Blick in verschiedene Initiativen und Zeitschriften reicht, um zu verstehen, welche teils unglaublichen und oft enorm spannenden Geschichten der Kosmos der Nachhaltigkeit bereit hält. Journalistische Wege kennenzulernen, um ihn besser beschreiben und durchschreiten zu können – darum muss es verstärkt gehen.
Es sind einige grundlegende Fragen offen: Wie wirken Medienbeiträge über Nachhaltigkeit auf Leser/User/Zuseher? Welches Verständnis des Begriffes haben Journalisten? Was lässt sich für diesen Beruf aus anderen Kommunikationsparten wie der PR lernen? Und inwieweit kann die amerikanische literarische Gattung des nature writing, für die Autoren wie John Muir, Henry David Thoreau oder Rachel Carson stehen, ein Vorbild für die Suche nach Denkmustern und Textfiguren sein, die Umwelt und Nachhaltigkeit im Blick haben?
Es wird neue Initiativen und fächerübergreifende Forschungsprojekte geben, um die Perspektiven zu vernetzen und damit zu erweitern. Um ganzheitlich zu fragen. Ganz im Sinne der Nachhaltigkeit, könnte man sagen.
Dieser Artikel erschien bereits im „LichtBlickBlog – die Zukunft der Energie“.