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Wenn das Wasser fehlt – Klimaschmerzen und Naturtrauer im hessischen Mühltal

Ich habe öfter in Vietnam gearbeitet und gesehen, wie ein Land unter den Folgen des Klimawandels leidet, seine Menschen vor allem. Wie Wälder verschwinden, Felder vertrocknen, Mangroven durch die Erosion ins Meer stürzen.

Ich war in Lappland und habe darüber geschrieben, wie sich für samische Rentierzüchter alles ändert, zuvorderst das Wetter und damit ihre alte, nomadische Kultur. Ich habe ihre Trauer gesehen und gespürt.

Ich habe 2018 mit einem Bauern in Dieburg gesprochen, der seine Brunnen nun dreißig Meter tiefer graben muss als noch vor zehn Jahren – weil das Wasser fehlt in der Hitze und Dürre, im Klimawandel.

Wir hatten 2019 im Sommer ein Mädchen aus dem Ortsteil Frankenhausen am Tisch sitzen, die davon erzählte, wie sie Wasser sparen und das Duschen auf Geheiß der Gemeinde einschränken muss, weil das Wasser fehlte dort, und Lastwagen den Ort mit Wasser in der Heißzeit beliefern mussten.

Ich habe vor meinem Haus in Trautheim mit einem Holzfäller gesprochen, der um eine alte große Buche trauerte, die er fällen musste, weil ihr das Wasser fehlte, sie Pilze bekam und drohte zu fallen in der Hitze und Dürre; der Mann weinte fast. In 30 Jahren Arbeiten im Forst habe er so ein Sterben der Bäume noch nicht erlebt.

Ich habe jetzt gelesen, dass sie meinen Wald sperren mussten, in und an dem ich groß geworden bin, im Lohwald: 1000 Euro Strafe muss zahlen, wer hineingeht, weil die fast 200 Jahre alten Buchen dort alle sehr krank oder schon tot sind. Und ihre Äste auf Besucher fallen können. Die Gemeinde musste meinen Wald für unbestimmte Zeit sperren, für Jahre wohl, weil ihm das Wasser fehlt. Ich schaue morgens, wenn ich die Kinder zum Kindergarten bringe, hinüber auf den Lohberg und denke nun, dass dort eine Sperrzone ist. Eine Baumleichengruppe, kein Wald mehr.

Es reicht.

Es kommt nicht näher und schon gar nicht langsam. Die Folgen des Klimawandels bestimmen unser Leben heute und hier bereits stark – und es wahrscheinlich, dass es weitergeht. Dass vielleicht einmal viel mehr Wald gesperrt sein wird. Oder die Modau, unser Fluss, zu dem ich drei Jahre für ein Buch recherchiert habe, fast kein Wasser mehr haben wird. Soweit muss es nicht kommen, und was genau geschehen wird, wissen wir nicht. Wir wissen aber, dass es mit Wasser, Wald, der Landwirtschaft und den Ernten, dem Essen, den Allergien und Krankheiten zu tun haben wird. Mit dem täglichen Leben also – und mit viel, viel Geld. Klimaschutz und Klimaanpassung kosten schon heute Riesensummen. Und es wird mehr kosten, wenn wir nicht mehr dagegen tun. Gerade dort, wo die Folgen wirken – in den Kommunen, auf dem Land.

Es reicht, endgültig. Ich habe den Großteil meiner Arbeit als Journalist der Beobachtung und Beschreibung von Umweltproblemen gewidmet, jetzt lehre ich das. Ich habe aber noch nie die Verluste und Probleme so sehr hautnah gespürt wie jetzt – weil es eben so nah ist. Weil es mein Wald ist, der stirbt und schon tot ist.

Falsches Abwarten

Offenbar muss es soweit kommen, bis es und bewegt, aufweckt. Ungezählt sind die Bücher, Studien und Programme, um Wissen zu vermitteln, damit alles anders wird. Sie haben nicht richtig gewirkt. Viele haben geschlafen, auch die Lokalpolitik hier, als 2012 der Landkreis in einer Studie ganz klar sagte, was Mühltal gegen den Klimawandel hätte tun können – die Brunnen wurden als Problem genannt. Nichts ist dazu passiert. Nun hat Frankenhausen Wasser bekommen, jetzt passiert erst etwas. Wir können uns dieses Abwarten – gerade in Mühltal, aber auch sonst überall – nicht mehr leisten. Nicht um unser Geld Willen, der Lebensqualität Willen und schon gar nicht um unser Kinder Willen, denen ich gerade versuche zu erklären, was da mit den Bäumen vor ihrer Nase passiert.

Wir müssen jede politische Entscheidung nun klimasicher machen – so, wie jede Veranstaltung in einem Raum nur bei Brandschutz stattfinden kann. Es geht darum, die Erderwärmung und ihre Folgen als eine Daseinsdimension zu betrachten, die viele Lebensbereiche betrifft – und nicht mehr als Einzelthema. Den Klimawandel als Einzelthema zu sehen ist der größtmögliche Fehler von Politik und Komunikation – das ist das Hauptergebnis meiner sieben jährigen Arbeit an der Hochschule Darmstadt, die ich zur Hälfte mindestens der Klimakommunikation und -wahrnehmung gewidmet habe. Es reicht jetzt.

Es geht um neue Freiheiten

Ich wünsche mir von allen Politikern hier und anderswo, jetzt aufzustehen und ihre Entscheidungen rundum klima- und umweltsicher zu machen. Und dabei auch auf die Freiheiten zu blicken, die wieder einziehen können – und mit ihnen eine neue Lebensqualität. Denn wir alle wären gerne frei von kaputten Wäldern, trockenen Feldern, dreckiger Luft, vollen Straßen, Wiesen ohne Bienen und Schmetterlingen, lautem Verkehr, belasteten Flüssen, ausgelaugten Böden, Hitzesommern und Dürrephasen, vergifteten Lebensmitteln, Wasser mit Arzneimittelresten, Meeren mit Mikroplastik, Allergien, Krankheiten, Ultrastress, stetem Wettbewerbsdruck uns so weiter. Nur haben wir uns an all das gewöhnt, haben hier Freiheiten preisgegeben, die es geben könnte oder auch gegeben hat.

Kaputt gesparte Kommunen

Das ist zuvorderst nicht in Mühltal zu verändern, wo, wie überall im Land, die Kommune viel zu wenig Geld hat, um sich diesen Daseinsaufgaben voll zu widmen. Aber es ist in Teilen auch hier zu verändern – mit mehr Mut, Geschlossenheit (!) und einer Vision davon, wie die Gemeinde in dieser Klimakrise gut leben will. Wie gesagt, es geht um das gute Leben – und die Wiedergewinnung von Freiheiten, die weg sind. Und die alle, direkt oder indirekt, etwas mit den Klimafolgen zu tun haben und der Art des Wirtschaftens, die dahinter steht.

Es reicht, schon längst. Und es ist epochal – denn 2021 entscheiden Forscher, ob wir nach fast 12000 Jahren Holozän in ein neues Erdzeitalter eintreten, weil die Menschheit offenbar die größte Kraft auf dem Planeten geworden ist und ihn dauerhaft verändert, mehr als alle anderen geologischen Kräfte. Verändern – das heißt schänden, zerstören, ausbeuten. Anthropozän, das Menschenzeitalter, soll diese neue Periode heißen. Kleiner geht es leider 2020 nicht mehr – und da haben wir von den Angriffen auf die Demokratie und die Menschenrechte noch nicht gesprochen.

Wenn ich hoch zum Lohwald schaue, muss ich an das neue Zeitalter denken. Viel öfter aber an den Kinderspielplatz früher, unsere Cowboy-Spiele unter den Buchen und auch an den Kindergarten, der da jetzt so oft hingegangen ist. Doch vorbei, der Wald ist weg, ist eine Klima-Hitze-Folgen-Sperrzone geworden. Ich spüre tiefen Schmerz.

Es muss  jetzt Veränderungen geben – politisch vor allem. Privat sind schon viele auf dem Weg, auch wenn noch viel Luft nach oben ist. Wir haben jedenfalls noch Vieles in der Hand, gerade auch in Mühltal.

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