Fischereifonds: Kompromiss und offene Fragen
Lange sah es nach einem Erfolg aus, doch im Dezember 2013 brach das Parlament die Verhandlungen über den Fonds überraschend ab. Die Wiener Zeitung resümiert:
„Doch die Vertreter des Parlaments brachen die Sitzung abrupt ab: Sie hatten mehr Geld für die Kontrolle der Fischer verlangt. Damit will die EU verhindern, dass die Fischer ihre Fangmengen überschreiten oder unerlaubte Techniken einsetzen. (…) Die Verhandlungen scheiterten an der Frage, wer für diese Ausgaben hätte aufkommen sollen.“
Die Verhandlungen wurden nach 2014 verschoben, Ende Januar einigten sich dann der EU-Fischereirat und Parlament auf einen Kompromiss: 6,3 Milliarden Euro erhält der Meeres- und Fischereifonds. 520 Millionen sollen für die Erforschung der Bestände ausgegeben werden. Auch gibt es Mittel, um Schiffe zu erneuern oder durch Modelle mit geringerem Schadstoffausstoß zu ersetzen. Und jüngere Fischer mit Berufserfahrung bekommen 75.000, wenn sie sich ein neues Boot kaufen wollen – diese Regel soll allerdings auf die „kleine Küstenfischerei“ begrenzt bleiben. Ältere Fischer können jüngeren zudem ein Zweijahres-Praktikum mit EU-Hilfe bezahlen.
Wer allerdings gegen die neuen Auflagen verstößt, soll härter als zuvor bestraft werden; die Kontrollen sollen insgesamt zunehmen. Politik und Fischereiwirtschaft loben das Ergebnis einhellig, und auch die Umweltverbände sind zufrieden – jedoch nur teilweise. Ocean 2012 etwa sieht in den Regeln weiter die Möglichkeit, neue Motoren mit EU-Geldern zu finanzieren und Geld dafür zu kassieren, dass Schiffe vorübergehend stillgelegt werden. „Statt die Überfischung zu beenden, würde sie auf diese Weise nur unterbrochen“, schreibt die Gruppe.
Reformorientierte Kräfte hatten ganz zu anfangs härtere Regeln und keine Zahlungen mehr für neue Motoren gefordert, im neuen Kompromiss ist die Handschrift industrienaher Abgeordneter, zuvorderst die des Franzosen Cadec, zu erkennen. Die Frage der Umsetzung und Auslegung stellt sich also; das Thema bleibt weiter aktuell – und damit der Erfolg der Reform insgesamt. Denn würden die Geldflüsse an die Fischer nicht wirklich verändert, so sagen Experten in der EU-Kommission, gäbe es insgesamt keine wirksame Veränderung des ganzen Politikfeldes.
Reform alle zehn Jahre
Alle zehn Jahre wird die EU-Fischereipolitik reformiert, immer hakt es wegen der Geldfrage. Zuletzt 2003 scheiterte der Malteser Joe Borg mit einem großangelegten Rettungsversuch – auch im Interesse der kleineren Fischer, deren Verbände vehement ökologische Reformen fordern, weil ihre Einkommen sinken und das Produkt schwindet. Draußen auf hoher See verdient der Sektor, an dem europaweit 400.000 Arbeitsplätze hängen, noch Geld – doch auch diese Einnahmen sinken.
Die Bremser, angefangen bei Frankreichs Fischereiminister Frédéric Cuvillier bis zum Cheflobbyisten Javier Garat, dem Vorsitzenden des Fischereiverbandes Europêche, haben Erfahrungen und Verbindungen. So viel, dass die Minister schon im Sommer das geplante Beifangverbot entkräften konnten; 2018 statt 2014 soll es kommen – teilweise. Damanakis Ziel, alle Bestände bis 2015 nach dem Prinzip des maximalen Dauerertrages zu befischen, haben die Minister auf 2020 verschoben und nicht für alle Arten eingeführt. Zu den reformskeptischen Politikern gehören auch EU-Abgeordnete wie Alain Cadec, der Ire Pat Gallagher oder Carmen Fraga, die spanische Grande Dame der Szene. Auch sie wollen mehr Nachhaltigkeit, das taucht in ihren Presseerklärungen immer wieder auf. Es ist nur eine andere Form als die von Damanaki, die „über die NGO regiert“, wie Fraga sagt.
Die Reformskeptiker kämpfen vor allem für den Erhalt der Subventionen; das diese verändert werden müssen, steht für die meisten Beobachter aber außer Frage. Denn mit den Geldern des Europäische Fischereifonds (EFF) haben Europas Fischer über die Jahrzehnte eine Flotte aufgebaut, die – je nach Studie – 30 bis 40 Prozent über der Größe liegt, die den Beständen angemessen wäre. Dabei ist die reine Zahl der Boote gar nicht das Problem: 80 Prozent der 83.000 Schiffe sind kleiner als zwölf Meter, fallen also in die „kleine und handwerkliche“ Fischerei. Auch diese Boote tragen zwar zur Überfischung bei, der Hauptfaktor aber sind die großen Trawler, die auf hoher See unterwegs sind. Mit immer besseren Maschinen, moderneren Navigationsgeräten, effizienterem Echolot. In solche Technik haben die großen Fischereiunternehmen investiert – mit Hilfe der EU-Gelder. Und auch mit Hilfe der Abwrackprämien, mit denen die Flotte eigentlich gezielt verkleinert werden soll – und die Damanaki auslaufen lassen will.
Seit 1994 hat die EU Verschrottungen mit 2,7 Milliarden Euro gefördert. Ergebnis: Die schiere Zahl der Boote ist zwar gesunken. Aber die Fangkapazität der EU-Schiffe ist durch die technischen Verbesserungen gestiegen. Die Abwrackprämien haben, und das sagt die Kommission selbst, als politisches Steuerungsinstrument versagt. So wie die ganze Gemeinsame Fischereipolitik – ein Befund, den etwa der Europäische Rechungshof angestellt hat. Wie konnte es dazu kommen?
Wie Europa in die Fischereikrise kam
1983 führte die EG die Gemeinsame Fischereipolitik ein, knapp 30 Jahre später gilt sie als gescheitert. Dazwischen liegen Jahre des Missmanagements und der Verfehlungen. Auch die Kommissarin Maria Damanaki gesteht das Scheitern ein: „Wir müssen handeln, um alle Fischbestände wieder in einen gesunden Zustand zu versetzen“, sagte sie, als sie 2011 erstmals ihre Reformideen präsentierte. „Damit sie für heutige und zukünftige Generationen erhalten bleiben.“ Rechtlich hatten sich die EU-Staaten längst verpflichtet, ihre Bestände zu schonen: In der EU-Meeresrahmenrichtlinie und 2002 auf dem Weltgipfel in Johannesburg, wo sie sich erklärten, bis 2015 nur noch nachhaltig zu fischen, also nach dem wissenschaftlichen Kriterium des maximalen Dauerertrages (siehe weiter unten).
Soweit die Theorie. In der Praxis waren 47 Prozent der EU-Bestände 2012 im Nordostatlantik überfischt, wobei es da nur um die bekannten Populationen geht. Die Dunkelziffer dürfte noch höher liegen. Im Mittelmeer waren es 82 Prozent. Große Arten wie der Rote Thunfisch sind fast in vielen früheren Revieren ganz verschwunden. Und die Mittelmmeer-Bestände von Hammer-, Blau-, Fuchs- und Makrelenhai sind seit Anfang des 19. Jahrhunderts um 97 bis 99 Prozent gesunken sind, wie eine Studie der kanadischen Dalhousie University 2008 ergab.
Gigantische Verschwendung – das Beifangproblem
Die EU hat ihre Fischereimisere jahrzehntelang selbst gefördert – mit zu hohen Fanquoten, fehlenden Schutzgebieten und den angesprochenen Subventionen für die ohnehin zu große Flotte. „Die EU-Staaten sind traditionell Freunde der Fischer, nicht der Fische“, sagt Fischereibiologe Rainer Froese vom Kieler Geomar-Institut. Das soll die Reform ändern – auch mit dem „Anlandegebot“: Beifang soll ab 2014 zwingend an Land gebracht werden und nicht mehr, wie von der EU vorgeschrieben, über Bord gehen. Es geht um alle Meerestiere, die zu klein sind oder als unverwertbar gelten. Auch wenn die Fanglizenz für eine Art fehlt, die zufällig im Netz landet, werfen Fischer die – oft marktfähige – Beute zurück ins Meer. Wobei sie fast immer stirbt.
Hinsichtlich des Beifangsverbotes werden die Verhandlungsergebnisse öffentlich oft als Erfolg dargestellt; auch NGOs geben recht wohlwollende Interviews. Fischereiwissenschaftler wie Christopher Zimmermann bewerten die neuen Beifangregelungen gegenüber Grüner-Journalismus.de anders:
„Es gibt derartig viele Ausnahmeregelungen, dass mit etwas Geschick kein Fischer etwas an der derzeitigen Praxis ändern müsste. Damit kann das Ziel, positive Anreize für die Vermeidung unerwünschter Beifänge zu schaffen, nicht erreicht werden. Meine Hoffnung liegt nun noch auf der Implementierung in den Regionen, denn einige Management-Regionalgruppen haben schon angekündigt, dass sie auf viele der Ausnahmen verzichten wollen. 2015 sind wir hoffentlich schlauer, wenn die ersten Anlandegebote wirklich eingeführt sind.“
Wird es also weitergehen wie bisher? Umweltverbände kritisieren schon lange die gigantische Verschwendung scharf, die geschätzte 23 Prozent aller EU-Fänge ausmacht. Es geht auch anders: Norwegen schreibt seit 1987 vor, den Beifang anzulanden. Und ahndet Verstöße mit drastischen Strafen. Das hat drei praktische Vorteile: Die Fischer beginnen von sich aus, den Beifang zu vermeiden und gezielter zu fischen – mit neuen Netzen oder in anderen Seegebieten. Biologen können zudem die Bestände besser schätzen, weil sie Daten über die gesamten Fänge haben und nicht nur, wie in der EU, über einen kleine Ausschnitt. Und kulinarisch uninteressante Fische können zu Fischmehl verarbeitet werden, das in der Aquakultur verfüttert wird. Und dann nicht von wilden Sardellen oder Makrelen stammt, die extra dafür gefangen werden müssen.