=> Kolumne „Geschichten von Stein und Sein“: Journalistische Naturbetrachtungen aus Bergstraße und Odenwald
Von Torsten Schäfer
Nature writing ist eine literarische und journalistische Möglichkeit, Natur präzise, empathisch und subjektiv zu beschreiben und sie damit auf neue Weise zu erfahren. Dabei vermischen sich umwelt- und wissenschaftsjournalistische Beschreibungen mit essayistischer Reflexion und poetischen Gedanken zu einer eigenen, v.a. in den USA und Großbritannien bekannten Stilform. Für sie stehen Namen wie John Muir, Henry David Thoreau, Ralph Waldo Emerson und Gary Snyder, jedoch auch die Wissenschaftsjournalistin Rachel Carson und schreibende Forscher wie Fawley Mowat.
Durch einen breiten, neuen gesellschaftlichen Naturdrang feiert nature writing gerade in Großbritannien große Erfolge auf dem Buchmarkt und in Medien. In Deutschland wird das Genre vor allem in der Kultur- und Literaturwissenschaft diskutiert. Doch aktuell dringt nature writing auch in die Massenmedien, Buchverlage sowie Fachdiskurse vor – die Chancen, die das Genre für neue Arten der Natur- und Umweltvermittlung bietet, sind vermehrt von Interesse. Denn letztlich geht es vielen Autoren um eine Wiedervereinigung des Menschen mit der Natur und ein Sichbegreifen als Natur selbst – Motivationen, die der Zeitgeist als Gegenreaktionen zu Entwicklungsmustern wie Ökonomisierung, Verdinglichung, Beschleunigung und Technisierung gerade hervorbringt.
Von natürlichen Narrativen und eingerissenen planetaren Grenzen
Für einen ethischen Journalismus, der Nachhaltige Entwicklung als universellen Wert und gesellschaftliches Leitbild versteht und sich diesem deshalb bei aller Offenheit grundlegend annimmt, liegen im nature writing besondere Chancen und Fragestellungen – insbesondere im Kontext der Fragestellung, welche Narrative und Vermittlungsformen die oft klassische, öfter sperrige Wissenschafts- und Umweltberichterstattung attraktiver, verständlicher und letztlich wirksamer machen. Medienökonomisch wirksamer im Sinne von steigenden Auflagen, mehr Klicks und besseren Quoten, aber auch wirksamer im Hinblick auf ein größeres Interesse und Bewusstsein für Themen aus dem Spektrum von Umwelt und Nachhaltigkeit – die letztlich mehr Lebensqualität bedeutet. Und damit bei entsprechender Kenntnis und Perspektive nicht nur als Risiko- sondern ebenfalls große Lust- und Freiheitssphäre erzählt werden kann.
Nature writing kann für die Betonung einer solchen lustvollen Nachhaltigkeitsperspektive (zusammen mit anderen neueren Genres wie etwa dem konstruktiven Journalismus) ein gute Möglichkeit sein, setzt das Genre doch bei dem an, was Menschen intuitiv immer anzieht: der belebten Natur, Tiere, Pflanzen, Wasser und Landschaften.
Dennoch bleibt die Risikoperspektive in allen Formen der Natur- und Umweltvermittlung notgedrungen stark. Denn die planetaren Grenzen sind teils schon überschritten und der Einfluss des menschlichen Wirtschaftens auf die Erde ist bereits so groß, dass die Forschung mit dem Anthropozän den Anbruch eines neuen Erdzeitalters debattiert. Diesem Rahmen muss ein journalistischer Ansatz des nature writing Rechnung tragen, da er andernfalls risikiert, in kleinteilige Schönschreiberei zu verfallen, die den realen Kontexten nicht gerecht wird.
Das Publikum selbst zeigt den Bedarf für neue Formen an
Vieles weist darauf hin, dass großer Bedarf für ein neuen Art der Umwelt- und Naturdarstellung besteht. Aus seiner Relevanzaufgabe heraus muss Journalismus hier hinschauen, aber eben ebenso aus wegen seiner grundlegenden Neugier für Neues, andere Formen und lebensnahe Darstellungen. Der Journalismus schaut auch schon hin und hinüber – etwa in die Literatur, deren Formen und Gattungen er immer öfter übernimmt, wie Tobias Eberwein 2013 in seiner Dissertation herausgefunden hat. Literarischer Journalismus, so seine Schlussfolgerung, macht traditionelle Medien krisenfester – gerade im Wochenrhythmus, der mehr Zeit für den Konsum der oft längeren Stücke lässt (siehe dazu auch unser Dossier zu „Slow Media“).
Doch nicht nur aus einem neuen Naturdrang und dem Wunsch nach Entschleunigung heraus zeigt das Publikum selbst den journalistischen Bedarf an, sich mit neuen Vermittlungsformen wie Storytelling (siehe hierzu das Forschungsprojekt „Klimageschichten„) oder eben nature writing zu beschäftigen. Diese Motive sind Indikator für einen umfassenderen Prozess: die aktuelle Genese einer neuen, noch diffusen aber gleichzeitig breiten sozial-ökologischen Öffentlichkeit, die bisher allerdings wenig untersucht und auch nicht mit einem Begriff gefasst worden ist. Medial sichtbar wird diese Entwicklung gut an den vielen neuen Magazinen, die in den vergangenen Jahren entstanden sind, v.a. an den Landheften, die ein starkes Naturmotiv in sich tragen (Kiosk-Forschung hierzu 2013).
Nature writing bei Grüner-Journalismus
Aus all diesen Gründen heraus beschäftigt sich Grüner-Journalismus mit nature writing – analytisch und praktisch, da wir ja selbst Journalisten und Autoren sind. Schon länger auf der Site haben wir Interviews mit Stichwortgebern zum Thema, etwa dem Philosophen und Journalisten Andreas Weber oder Autoren von GEO das zu den wenige Medien zählt, die nature writing als Genre immer wieder platziert haben. Wir berichten auch über hochschulgebundene und freie Seminare mit Studierenden und Schülern, die bei praktischen Übungen in Feld und Wald neue Schreibmethoden und Themenzugänge lernen. Geplant sind zwei Reportage- und Porträtkurse zu Menschen, die in besonderer Weise mit Wald und danach Flüssen zu tun haben – nature writing soll hierbei eine große Rolle spielen. Ähnliche Lehrprojekte zu Klimawandel im Rhein-Main-Gebiet, alternativen Ernährungsweisen in Darmstadt oder Expertensichtweisen auf die Themenwelt der Nachhaltigkeit gab es in den vergangenen Jahren mehrfach („Main Rheines Klima“ zu regionalen Klimafolgen, Interviewserie „So isst Darmstadt“ zu neuen urbanen Ernähungstrends; Interviewserie “Zukunft Leben”)
Hinzu kommen eigene Freilandversuche mit der Naturkolumne „Geschichten von Stein und Sein“ und ihren zwei Zielen: einem Akzeptanztest des Genres bei Journalisten, dafür läuft die Kolumne auf GJ. Dazu kommt der Akzeptanztest für die breite, naturinteressierte Bevölkerung in der südhessischen, die über andere Kanäle schrittweise angesprochen wird. Kern unseres neuen Schwerpunktes ist aber das folgende, stetig wachsendes Linkdossier mit Quellen zu nature writing – in Verbindung mit Journalismus und allgemein.
Aktueller Trend
- Gute Einführungen in das Genre in journalistischen Medien finden sich zum Beispiel in der NZZ sowie in der Welt oder der SZ.
- Aktueller Erfolg 1: Hawks, butterflies, coasts and footpaths: how nature writing turned to literary gold (Guardian)
- Aktueller Erfolg 2: State of Nature by Dominic Green | The New Criterion
- Aktueller Erfolg 3: Super natural: the rise of the new nature writing | The National
- Animschale Autorenperspektive: Nature Writing: Charles Foster wird zum Dachs, zum Fuchs, zum Otter – WELT (Was unterscheidet uns von Tieren? Nicht so viel, glaubt der gelernte Veterinär Charles Foster. Also hat er als Dachs zu leben versucht.)
- Gründe des Erfolgs: ‚In stressed times, we can take comfort in wildlife‘: why nature-writing is ‚exploding‘ The Guardian
- Pro und Contra: Richard Mabey: in defence of nature writing | Books | The Guardian (Steven Poole criticised nature writers – and their readers – for whimsy and for idealising the non-human world. He was wrong)
- Nature writer und ihre Vorbilder: nature writers on the books that inspired them | The Guardian (Robert Macfarlane, Helen Macdonald, Kathleen Jamie)
- Interview mit Helen Macdonald ( ‚H is for Hawk‘ author): Minnesota Public Radio News
- Interview mit Robert Macfarlane: Die Gedanken in Bewegung schütteln | Frankfurter Rundschau
- Porträt zu Robert Macfarlane: Porträt des Romantikers 2.0 – WELT
- Gewinnerin: Linda Hogan, 2016 Henry David Thoreau Prize for Nature Writing
- Britische Journalisten, die nature writer sind – und umgekehrt: Nature Writing & Journalism – A Focus On Nature
- Deutschland: Nature writer Andreas Weber und sein Ansatz des „Enlivenment“
- Deutschland: Interview mit Marion Poschmann, der ersten Nwr-Preisträgerin
Beispiele für praktische Anleitungen
- Für den Anfang: How to be a nature writer (Country diarist Paul Evans reveals what makes good nature writing stand out and offers some expert advice on how to get started)
- Writing Naturally: A Down-To-Earth Guide to Nature Writing
- Environmental and Nature Writing: A Writer’s Guide and Anthology (Bloomsbury Writers’ Guides and Anthologies) Sean Prentiss: Bloomsbury Academic
- Writing Wild: Forming a Creative Partnership with Nature
- Stories from the wild: an introduction to creative nature writing | Institute of Continuing Education
- Zur Technik des Deep Mapping: Deep Maps in Eco-Literature
Kurse, Preise, Hochschule: einige Beispiele
- Studiengang in England: MA Wild Writing: Literature, Landscape and the Environment :: University of Essex
- Nature Writing am MIT: Writing about Nature and Environmental Issues | Comparative Media Studies/Writing | MIT OpenCourseWare
- Nwr an der University of Wisconsin: Env Studies: Introduction to Nature Writing —
- Guardian Master Class: Nature writing with Stephen Moss | Guardian Masterclasses
- Nachwuchswettbewerb: Youth Nature Writing Contest Results – Lewis and Clark National Historical Park (U.S. National Park Service)
- Deutscher Preis für Nature Writing: Mathes und Seitz und Bundesamt für Naturschutz
Metaebene: Fachbücher, Aufsätze, Historisches (ein kleiner Ausschnitt…)
- Traditionen: Henry Thoreau as a Model for Nature Writing
- Traditionen: The Environmental Imagination: Thoreau, Nature Writing and the Formation of American Culture
- Philosophische Grundlagen: Amerikanischer Transzendentalismus: Ralph Waldow Emerson, Henry David Thoreau, Margaret Fuller
- New Nature Writing: Sounding East: The New Nature Writing: Defining a Genre
- New Nature Writing: The naming of the shrew: language, landscape and the new nature writing
- New Nature Writing als Doktorarbeit
- Natur als Motiv in der europäischen Moderne: Reading and Writing Nature in Early Modern Europe | Max Planck Institute
- Natur in der deutschen Literatur: Nature and Environment in Modern German Literature
- Wichtigste Buchreihe in Deutschland: Naturkunden – Verlag Matthes & Seitz Berlin
- Spezialisierter Buchladen: Zabriskie – Buchladen für Kultur und Natur
- Ikone 1: Porträt der Journalistin Rachel Carson
- Ikone 2: noch mehr zu Rachel Carson